"Serpentinen"
Der Strick im Keller
In dieser Familie begehen die Männer reihenweise Suizid: Bov Bjerg ist mit "Serpentinen" ein fulminanter und erschütternder Roman über familiäre Sprachlosigkeit gelungen.
Eine Rezension von Carsten Otte
Vater, Großvater und Urgroßvater haben sich umgebracht. Darüber darf daheim aber nicht gesprochen werden, und so wächst der Ich-Erzähler von Bov Bjergs neuem Roman Serpentinen mit vielen Lügen und Legenden auf. "Familienbla" nennt er das Gerede, dessen Sinn nur darin besteht, Wahrheiten zu verschweigen. Immerhin war er dabei, als der Vater vom Strick genommen und das Seil dann im Keller verstaut wurde. In der schwäbischen Provinz wird nichts weggeschmissen, selbst ein Selbstmordwerkzeug nicht. Dann geht es einfach weiter: "Die Mutter ging zur Arbeit wie immer. Ich ging zur Schule wie immer. Niemand sprach davon, dass der Vater gestorben war. Niemand sprach davon, wie er gestorben war. Jetzt nicht und in Zukunft nicht."
Schon in seinem Erfolgsroman Auerhaus konfrontierte der 1965 im schwäbischen Heiningen geborene Schriftsteller Bov Bjerg seine an sich so lebenshungrigen Figuren mit einem aussichtlosen Kampf gegen den Tod, und dieses Thema wird nun auf besonders erschütternde Weise in Serpentinen weiterentwickelt. Beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt hatte der Autor, der früher mal Rolf Böttcher hieß und der sein Vorleben ganz offensichtlich auch namenstechnisch zurücklassen möchte, einen Auszug aus seinem neuen Werk vorgetragen, die Jury überzeugt und den Preis des Deutschlandfunks gewonnen. Tatsächlich konnte man beim Wettlesen am Wörthersee vor anderthalb Jahren nicht ermessen, wie sich der Einstieg des Romans entwickeln und wie sich Serpentinen auf Bjergs mittlerweile verfilmtes Debüt beziehen würde. Die Frage, die das heitere bis melancholische Auerhaus und das finstere Serpentinen verbindet: Ist es möglich, sich von den Beschädigungen der Kindheit zu befreien oder steckt gerade in der größtmöglichen Ablehnung der familiären Verhältnisse auch die Gefahr, die Macht der schlechten Vorbilder zu unterschätzen?
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https://www.zeit.de/kultur/literatur/202...roman-rezension
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