CORONA-TAGEBUCH
Bettina Balàka: "Wir Hysterischen!"
Für das Literaturhaus Graz schreiben 20 Autorinnen und Autoren ein Corona-Tagebuch. Guter Lesestoff – und eine Therapiesitzung
Wie so oft brauchte ich eine Therapiestunde, um festzustellen, ob ich spinne oder die anderen. Wie praktisch immer stellte sich heraus, dass die anderen spannen, einschließlich meiner Therapeutin.
"Kein Händeschütteln?", sagte sie, zog eine Augenbraue hoch und die Hand zurück. "Solche Angst haben Sie?"
"Ich möchte mich ehrlich gesagt auch nicht auf die Couch legen", sagte ich.
"Obwohl jeder Patient ein eigenes Pölsterchen bekommt?", lächelte sie.
"Man kann auch neben das Pölsterchen husten", sagte ich schuldbewusst und setzte mich auf den Fauteuil, ohne die Armlehnen zu berühren.
Hysterie, Soziophobie, Berührungsängste. Mysophobie: die krankhafte Angst vor Ansteckung mit Bakterien oder Viren. Symptome: extremes Kontaktvermeidungsverhalten sowie übersteigerter Wasch- und Putzzwang.
Fünfzig Minuten lang erzählte ich also von meinen Ängsten. Im Familienkreise war mir untersagt worden, über das Corona-Virus zu sprechen, insbesondere in Gegenwart meiner Schwägerin. Sie war vor kurzem Mutter geworden, und ihre Seelenruhe würde am ehesten dadurch zu gewährleisten sein, dass man sie von Informationen zur Infektionsverhinderung tunlichst fernhielt.
Ein Freund erzählte mir schmunzelnd, dass es in Italien nur deshalb so viele Corona-Fälle gebe, weil dort so viel getestet würde, den faszinierenden Umkehrschluss implizierend, dass das Virus durch Abschaffung des Tests auf einfache Weise beseitigt werden könne.
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https://www.derstandard.at/story/2000115...ir-hysterischen
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