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Jonathan Lethem: Alan, der Glückspilz

#1 von Sirius , 06.01.2022 16:43

Kein Wort ist zu viel

Jonathan Lethem zeigt, was er am besten kann: sich kurz fassen

Jonathan Lethem war zuletzt schriftstellerisch nicht mit Glück gesegnet. Sein vergangenes Jahr erschienener Krimi Der wilde Detektiv konnte die Kritiker nicht wirklich überzeugen. Und sein vorletzter Roman wurde gar nicht erst ins Deutsche übersetzt. Dabei wird Lethem vor allem nach seinem erfolgreichen Roman über die amerikanische Linke, Garten der Dissidenten – einem thematisch zwar großartigen, literarisch aber zweitrangigen Buch –, noch immer gerne durchs hiesige Feuilleton gereicht.

Überhaupt scheint der 1964 geborene und in New York lebende Autor den großen literarischen Würfen seiner frühen Karriere (Festung der Einsamkeit, 2003, und Chronic City, 2009) immer noch hinterherzulaufen. Dass sein neuer Band nun ausgerechnet Alan, der Glückspilz heißt, wirkt da fast wie eine Beschwörung. Und die funktioniert dann auch, denn die in diesem Buch versammelten Erzählungen sind allesamt schlicht genial. In neun stilistisch, sprachlich und dramaturgisch radikal unterschiedlichen Geschichten kommt das ganze künstlerische Können Jonathan Lethems zum Einsatz.
Die an der politischen Alltagsrealität wie Occupy (Garten der Dissidenten) und dem Phänomen Trump (Der wilde Detektiv) entlanggeschrieben Bücher setzen nicht wirklich das literarische Potenzial dieses Schriftstellers frei, der ebenso die Psychosen des Großstadtamerikaners in Szene zu setzen weiß, wie den Kampf des künstlerischen Subjekts im Spätkapitalismus, und dafür Fantasy, Science-Fiction und popkulturellen Realismus in gewagten Dosen miteinander mischt.

Richtig krachen tut das in der Erzählung Veganer in der Schwebe über einen Familienvater, der gerade seine Psychopharmaka abgesetzt hat und mit seiner Frau und den vierjährigen Zwillingen in einem Wasserpark unterwegs ist, um sich Orcas anzusehen: „Sie wirkten wie von Albert Speer modifizierte Pandabären.“ Während er in Gedanken Zwiesprache mit seinem latent rassistischen Psychiater hält, läuft dieser Vater im Familientross durch einen Park, dessen Bauweise „etwas von einem Verdauungssystem hatte. Man wurde verschlungen, verdaut und wieder ausgeschissen.“ Im Stakkato entwirft Lethem auf 20 Seiten das psychologische und soziale Universum einer ganzen Familie. Kein Wort ist zu viel.

Weiterlesen:

https://www.freitag.de/autoren/florian-s...ort-ist-zu-viel


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Sirius
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