Das Ende hat Zeit
Elvia Wilk erschafft in ihrem Roman „Oval“ ein Berlin, in dem die Klimakatastrophe nicht mehr Zukunftsmusik ist
Das Lokal „Altes Europa“ liegt in einem Winkel von Berlin-Mitte, in den man sich selten verirrt. Zwischen Museumsinsel, Boutiquen-Terror um die Hackeschen Höfe, Oranienburger Tor und Rosenthaler Platz herrscht eine für die Gegend ungewöhnliche Stille, gepaart mit dem irrealen Charme, den vollsanierte Straßenzüge in Beige und Pastell atmen. Man muss was vorhaben, um hier durchzukommen, unterwegs zur Synagoge in der Oranienburger Straße sein, zu den „Kunstwerken“ in der Auguststraße oder auch zum Highend-Döner „Kebab with Attitude“.
Elvia Wilk gerade im „Alten Europa“ mit seinen blankgescheuerten Holztischen zu treffen, fühlt sich anachronistisch an. Denn die US-Amerikanerin hat einen Roman veröffentlicht – bis jetzt nur auf Englisch – über die Hauptstadt in naher Zukunft. Wie die Pläne von Tesla-Chef Elon Musk, nahe Berlin eine gewaltige Fabrik für E-Mobilität zu errichten, die Stadt verändern, sollten sie sich realisieren, ist zwar noch reine Spekulation. Wilks im New Yorker Verlag Soft Skull erschienener Roman Oval spekuliert aber schon recht überzeugend über ganz Ähnliches.„Finster“ heißt hier der die Stadt beherrschende Multi. Und düster ist die Zeit. Doch die Biotech-Firma sorgt zunächst für neue Farb- und Lichtverhältnisse in der ehemaligen Mauerstadt. Früher erhellten „blau-weiße Straßenlampen die Westhälfte der Stadt, während gelb-weiße Lichter die rechte Hälfte beleuchteten, ein Überbleibsel aus der Zeit, als die Stadt geteilt war“.
Vom „Berg“ aus, einem künstlichen Massiv dort, wo sich heute das Tempelhofer Feld befindet, das – Ansichtssache? – entweder die Schaffung von dringend notwendigem Wohnraum verhindert oder einen Hort der innerstädtischen Erholung und Entfaltungsmöglichkeit bietet, blickt Wilks Heldin Anja auf die nächtliche Stadt: Von hier „strahlte eine grünlich dämmrige Lichtstrecke aus, wo die alten Lampen durch solarbetriebene ersetzt wurden … eine Kostprobe der nachhaltigen Farbe, die ganz Berlin bald sein würde. … Die alte Zweiteilung wurde von der grünen Zukunft, die vom Berg herabstieg, verschlungen.“
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