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Gerhard Roths letzter Roman "Die Imker"

#1 von Sirius , 01.06.2022 16:39

Gerhard Roths letzter Roman "Die Imker": Meditation übers Abschiednehmen

Der Roman fasst mit entfesselter Kombinationsgabe posthum die Hauptanliegen des im Februar verstorbenen Erzählers zusammen

Die Vorboten der Apokalypse sind wenig ansehnlich. Zuerst dominiert eine "eigelbe Wolkenformation" den Himmel über Klosterneuburg. Dann, ganz allmählich, breitet sich Nebel wie ein Teppich über die Welt. Der gelbe Dunst zeitigt einen verblüffenden, vaporisierenden Effekt. Er bringt einen Großteil der Menschheit restlos zum Verschwinden, und die Mehrzahl aller tierischen Lebewesen gleich mit.
Zurück lassen die Verdampften lediglich Schmuck und ihre Kleidungsstücke. Übrig bleibt in Die Imker, Gerhard Roths posthumem Roman vom stillen Menschheitsende, zudem ein handverlesenes Häufchen, eine Schar Versprengter. Die rekrutieren sich aus dem "Haus der Künstler", dem weltberühmten Refugium für "Art-brut"-Künstler in Gugging. Und weil der Wortführer dieses Romangespinstes "Franz Lindner" heißt, lässt sich die Brücke mühelos zurück in die 1980er-Jahre schlagen: zum gleichnamigen Helden in Roths Landläufiger Tod.

Schon in diesem exzentrischen Werk entzündete sich Roths Fantasie am Summen und Wimmeln der Bienen. Der damalige Franz war Imker-Kind, ein absichtsvoll Verstummter. Dieser Lindner brachte seinen Wahnsinn gegen die Verlogenheit der Mehrheitsgesellschaft wirkungsvoll in Stellung. Jetzt, rund 40 Jahre später, irrt besagte Figur durch eine leergefegte Welt. Nie dürfen sich die Leserin, der Leser sicher sein, ihnen würde reiner Wein eingeschenkt: von einer ehrbaren, verlässlichen Erzählinstanz.

Lindner ist weiterhin ein schizophren erkrankter Patient. Als solcher hantiert er höchst eigensinnig (und betont aufsässig) mit den Produkten seiner allerdings bemerkenswerten Einbildungskraft. Lindner huscht, in Begleitung weniger Davongekommener, durch ein menschenleeres Wien. Er kann es sich sogar leisten, im Kunsthistorischen Museum ein Gemälde von Pieter Bruegel dem Älteren abzuhängen: Die Jäger im Schnee.
Vor allem aber sieht sich das letzte Grüppchen Aufrechter, unter ihnen vornehmlich Nervenkranke, Pfleger und SOS-Kinderdorfkinder (!), genötigt, das gemeinsame Überleben zu organisieren, in einer offenen, dörflichen Struktur. Wie Echos aus der neueren Apokalyptik vernimmt man Anklänge an zwei andere Romane, in denen die Menschheit aufsehenerregend unspektakulär verschwunden war: Wittgensteins Mätresse (1988) des US-Amerikaners David Markson und Thomas Glavinics Die Arbeit der Nacht (2006).

Weiterlesen:

https://www.derstandard.at/story/2000136...-die-menschheit


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Sirius
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