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Linda Boström Knausgård: Oktoberkind

#1 von Sirius , 06.02.2023 16:51

Linda Boström Knausgård: Oktoberkind

In seiner naiven Form lädt Linda Boström Knausgårds in ihrem Roman "Oktoberkind" dazu ein, den Text zu unterschätzen. In diesem Schmerzenstext trägt jedes Wort eine verlorene Erinnerung auf den Schultern.

Die schwedische Schriftstellerin Linda Boström Knausgård ist der Weltöffentlichkeit bekannt als Figur im ausufernden autobiografischen Romanzyklus ihres Ex-Mannes Karl-Ove Knausgård. Linda Boström Knausgård selbst schreibt Gedichte, Kurzgeschichten und Romane. Jetzt hat Ursel Allenstein Linda Boström Knausgårds neuen Roman "Oktoberkind" ins Deutsche übertragen.
Die Autorin nimmt uns in "Oktoberkind" mit an einen inneren Ort, der in der Literaturgeschichte so noch nicht existieren durfte. Eine Schriftstellerin, Mutter von vier Kindern, geschieden wird aufgrund ihrer bipolaren Störung zum wiederholten Male in die Psychiatrie eingewiesen. Die Ärzte ordnen Elektroschocktherapie an, eine bewährte Methode im heutigen Schweden. Die Patientin hat kein Mitspracherecht. Sie gilt als unzurechnungsfähig und gefährlich. Unter Narkose soll ihr Gehirn mithilfe von starken Stromschlägen wie ein Computer neu gestartet werden.
Was passierte, wenn der Krampfanfall vorüber war, werde ich ein andermal erzählen, aber ich kann jetzt schon sagen, dass wir Patientinnen auf schmalen Liegen nebeneinanderlagen, so dicht an dicht, dass wir einander fast streiften. Jeder in seiner eigenen Dunkelheit, in einem Schlaf, der nicht zu begreifen war.

Linda, die weibliche Hauptfigur, taucht ab in eine entlegene Realität zwischen hilfesuchender Traurigkeit und todesnaher Transzendenz. Die Stromschläge löschen ihre Erinnerungen aus sowie die Kontinuität von Zeit und Raum. Was bleibt übrig von ihr? Der Ausweg in den Tod ist verstellt. Denn da sind ihre vier Kinder, und die Angst, sie mit der eigenen Katastrophe ohnehin schon zu schwer belastet zu haben.
Maria, eine Pflegerin, ermutigt Linda dazu, sich an ihre Kinder zu erinnern. Nach und nach tauchen Bilder auf, nicht nur aus der nahen Vergangenheit ihrer Mutterschaft und Ehe, sondern auch aus ihrer eigenen Kindheit. Die Mutter ist Schauspielerin, der Vater trinkt und geht an einer bipolaren Störung zugrunde. Als junges Mädchen schon spürt Linda die Wellen ihrer Krankheit. Auf der Suche nach einer haltgebenden Form, wünscht sie sich eine sowjetische Pionierin zu sein. Sie besorgt sich eine Uniform. Ihre Psyche aber lässt sich nicht beruhigen. Zwei Mal versucht sie, sich das Leben zu nehmen, einmal während der letzten Schwangerschaft. Ihr Mann trennt sich von ihr. Die Kinder bleiben bei ihm.

All diese Drehstellen ihres Lebens schweben, zusammengehalten durch das aus dem Takt geratene Gehirn, vor dem Auge des Lesers umher. Linda Boström Knausgård erzählt diese Innerlichkeit präzise und schmucklos. Kinder-Ich und Erwachsenen-Ich werden zu einer neuen Erzählstimme zusammengeführt. Die Erinnerungen an Glück sind bescheiden und immer in der Nähe des Schmerzes.

Weiterlesen:

https://www.ndr.de/kultur/buch/tipps/Okt...berkind100.html


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Sirius
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