Gregor Sander: Lenin auf Schalke
Gleich für seinen allerersten Roman "Abwesend" wurde Gregor Sander 2007 für den Deutschen Buchpreis nominiert. In seinem neuen Buch "Lenin auf Schalke" hat sich der Autor in Richtung Westen aufgemacht.
Auch wer noch nie in Gelsenkirchen war, bringt die Stadt im Ruhrgebiet mit dem Bergbau in Verbindung und mit Schalke 04. Beides hat Gregor Sander bei seiner literarischen Exkursion in den Westen ganz bewusst außen vor gelassen.
Sander hat das Gelsenkirchen von heute interessiert und die Frage, warum eigentlich immerzu über den Osten Deutschlands geschrieben wird und ob es sich nicht lohnen würde, die Perspektive mal umzudrehen:
"Ich hätte natürlich auch nach Sylt gehen können oder nach Garmisch-Partenkirchen - ich wollte irgendwohin, wo es fremd ist. Gelsenkirchen war die ärmste Stadt Deutschlands und zwar Gesamtdeutschlands - das fand ich beeindruckend. Man nennt es tatsächlich den Osten im Westen - aber nicht, weil die Leute so nett sind, sondern wegen der hohen Arbeitslosigkeit und weil da auch relativ viele AfD wählen."
Eine davon trifft Gregor Sander im "Eiscafé Graziella". Sie ist 26 Jahre alt, arbeitet als Referentin für die Landtagsfraktion der offen rassistischen AfD, obwohl sie selbst Herkunfts-Albanerin ist.
Derartige Widersprüche findet Sander auf ganz unterschiedlichen Ebenen in Gelsenkirchen. Etwa, wenn ausgerechnet in einem ehemaligen Sparkassen-Gebäude die Kommunistische Partei ihre Zentrale hat und dort mit reichlich kapitalistischer Coca-Cola das erste Lenin-Denkmal Westdeutschlands eingeweiht wird. Oder wenn er beim Ausflug mit seinen Gastgebern Gabi und Ömer fassungslos von oben auf die Stadt schaut und die beiden schwärmen, "wie schön dat ist":
"Heimatliebe habe ich sehr viel gefunden. Ich habe häufig den Satz gehört: 'Ich will hier gar nicht weg.' Da habe ich oft gestaunt und mich gefragt: Warum eigentlich nicht? Gerade in so einer Region. Vor hundert Jahren sah es da aus wie im Sauerland, das waren kleine Käffer. Das heißt, niemand kann da auf jahrhundertelange Familientraditionen zurückblicken. Das ist ein buntes Gemisch von überall aus Deutschland, aber auch aus der ganzen Welt. Dass die sich so auf diesen Ort beziehen, der seit vielen Jahren im Niedergang ist, hat mich schon sehr gerührt."
Genau wie die viel frequentierten Trinkhallen - hier Büdchen genannt - denen ein ganzes Kapitel gewidmet ist.
Bei einem Fahrradausflug zeigt Gregor Sanders Begleiter vom Gelsenkirchener Stadtmarketing ihm im Viertel Tossehof stolz den Bungalow von Klaus Fischer, dem Robert Lewandowski der 1970er-Jahre. Sander sinniert darüber, dass jeder in der DDR den Torschützen kannte, während auf der westlichen Seite des Eisernen Vorhang niemand auch nur einen Nationalspieler hätte nennen können, abgesehen von Jürgen Sparwasser. Aus diesem Hin- und Herdenken zwischen Ost und West, entstehen immer wieder herrlich absurde Situationen und Dialoge. Einmal auch sozusagen in der Nachfolge von Adolf Tegtmeier alias Jürgen von Manger, der als Gelsenkirchener Original auch durch dieses Buch geistern darf.
Sympathisch selbstironisch beschreibt Sander seine fiktive Forschungsreise ins Ruhrgebiet, bei der auch viele Aspekte anklingen, über die es sich tatsächlich lohnen würde, ernsthaft nachzudenken:
"Ich habe festgestellt, dass sich schon in Köln niemand mehr fürs Ruhrgebiet interessiert. Fürs Ruhrgebiet interessiert sich wirklich absolut kein Mensch. Das hat mich sehr fasziniert und das würde ich gerne ändern - dass wir da mal hingucken. Und es gibt nicht nur Gelsenkirchen, sondern auch Herne, Bottrop, Duisburg. Das sind alles Perlen, die den Glanz verloren haben, aber die dadurch durchaus interessant geworden sind. Geschichten findet man da an jeder Ecke."
Weiterlesen:
https://www.ndr.de/kultur/buch/tipps/Len...,sander436.html
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