Daniela Brodesser: Armut
Die Autorin und Armutsaktivistin Daniela Brodesser widmet sich einem Tabuthema, über das Betroffene oftmals aus Scham schweigen
Gemeinsam war sie mit den Kindern im Freibad. Es war ein heißer Tag, und die paar Stunden Unbeschwertheit taten gut. "Am Abend kamen wir müde, aber glücklich nach Hause", schreibt Daniela Brodesser. Da schnitt ihr der Vermieter vor ihrer Wohnung den Weg ab und stellte sie vor versammelter Nachbarschaft zur Rede. Was sie sich erlaube, das Geld beim Fenster hinauszuschmeißen. Vor den Kindern. Vor der im Garten sitzenden Nachbarschaft, die sich allesamt darüber lustig machten. Es waren übrigens 4,90 Euro Badeeintritt, Familienpreis.
"Endlich in der Wohnung, habe ich mich gefühlt, als würde sich der Boden unter meinen Füßen öffnen", erinnert sich die Linzer Armutsaktivistin Daniela Brodesser in ihrem Buch Armut an diese einschneidende Situation. "Das Loch, in dem wir seit Jahren waren, aus dem wir aber trotzdem immer wieder den Boden erblicken konnten, wurde plötzlich noch tiefer." Es war einer der demütigendsten Momente ihres Lebens, schreibt sie.
Soziale Scham ist eine Bedrohung, die leicht in der Luft, aber schwer auf Körper und Geist liegt. Betroffene fürchten in diesen Augenblicken ihr Gesicht zu verlieren und wissen ihr Ansehen bedroht. Man möchte im Erdboden versinken. Unsichtbar sein. Scham ist die große Begleiterin von Armut und mit der Frage des Blickes direkt verbunden. Beschämung ist eine soziale Waffe. Ich werde zum Objekt des Blickes anderer gemacht. Andere bestimmen, wie ich mich zu sehen habe. Das ist ein massiver Eingriff in die Integrität einer Person. Und: Beschämung hält Menschen klein. Sie rechtfertigt die Bloßstellung und Demütigung als von den Beschämten selbst verschuldet. "Mein erster Gedanke war: Er hat ja recht", so Brodesser.
Armutsbetroffene vereinzeln und halten sich für Schuldige ihres Schicksals. Das ist praktisch für all jene, die wollen, dass alles so ungerecht bleibt, wie es ist. Soziale Verhältnisse und politische Versäumnisse werden dann nicht mehr adressiert. "Es war Normalität, auf nichts ein Recht zu haben, weder auf Teilhabe noch auf Ablenkung noch auf Freude. Wer arm ist, hat keine Freude zu haben", erinnert sich Brodesser. "So weit hatte mich die Beschämung gebracht."
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