Namwali Serpell: Die Furchen
Die Autorin Namwali Serpell ist Anfang 40, in Sambia geboren und als Kind in die USA gekommen. Sie schreibt plastisch und schillernd, selbst in den düsteren Passagen. "Die Furchen" ist eine fesselnde Lektüre.
von Claudia Ingenhoven
Jedes Jahr im Dezember veröffentlicht der ehemalige amerikanische Präsident Barack Obama eine Bücherliste, seine Lieblingsbücher des Jahres. Die Buchhandlungen können gleich einen Stapel dieser Titel aufbauen, Obama ist der perfekte Werber. Im letzten Jahr gehörte "The Furrows" zu seinen Empfehlungen, gerade auf Deutsch erschienen.
Schon die ersten Sätze sind zum Luft anhalten.
Ich möchte nicht erzählen, was passiert ist. Ich möchte erzählen, wie es sich angefühlt hat. Als ich zwölf war, ertrank mein kleiner Bruder. Er war sieben. Ich war bei ihm.
Die Geschwister verbrachten den Ferientag am Strand. Cassandra hockt im Sand, Wayne badet im Meer. Als ein plötzlicher Wind die Wellen aufpeitscht, sieht sie Wayne untergehen und rennt ins Wasser. Mit äußerster Kraft zieht sie ihn auf ihren Rücken und versucht verzweifelt, an Land zu schwimmen. Sie spürt, wie sein Atem schwach wird, wie sein Körper sich von ihr löst. Sie muss ohnmächtig geworden sein, jedenfalls ist Wayne nicht mehr zu sehen, als sie am Strand liegend zu sich kommt.
Ihre Mutter klammert sich daran, dass Wayne nur verschwunden ist, dass sie ihn finden werden. Auch nach Jahren hält sie daran fest.
Heute weiß ich, dass sie außer sich vor Trauer war, dass sie aus der Spur geflogen und in eine andere Realität geschlittert war. Doch ich fühlte mich verraten. Ich möchte ehrlich sein. Ich weinte mehr über den Verrat meiner Mutter, als ich je über den Tod meines Bruders geweint habe.
Cassandra nennt sich jetzt Cee. Ihre Mutter, eine Malerin, ist weiß, ihr Vater, ein Ingenieur, schwarz. Sie sprechen den Namen Cassandra unterschiedlich aus, die Kurzform Cee dagegen klingt weder schwarz noch weiß. Erst als Teenager spürt sie, dass gerade ihre Mischung interessant wirken kann.
Während die Mutter eine Organisation für Eltern verschwundener Kinder aufbaut, trennt sich der Vater von der Familie. Cee weiß, dass ihr Bruder tot ist, trotzdem ist er bei ihr. Einmal guckt sie ihm beim Karussellfahren im Park zu. Plötzlich ist er verschwunden. Sie findet ihn leblos unter dem Fahrgestell. Namwali Serpell lässt ihre Heldin verschiedene Unfallversionen durchspielen, begleitet von einigen wiederkehrenden Sätzen, wie ein Refrain in einem Trauergesang, der sie tröstet - viel mehr als alle Therapeuten, zu denen sie geschickt wird.
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