Naturtalent: Fortbewegung eines Einzellers
Wie der Schleimpilz Verkehrsnetze optimiert
Auf der Suche nach Nahrung nimmt der Schleimpilz immer den schnellsten Weg. Ein Computermodell für Stadtplaner:innen ahmt sein Verhalten nach.
Es gibt Wesen auf der Erde, die die Dreistigkeit besitzen, vom Menschen bis heute nicht ganz verstanden zu werden. Bärtierchen etwa, die sterben und wiederauferstehen können. Oder Physarum polycephalum, eine Schleimpilz-Art. Sieht aus wie ein Pilzgeflflecht, verhält sich wie ein Tier, ist aber keines von beidem. Und auch keine Pflanze. Der rätselhafte Organismus besteht aus nur einer einzigen Zelle. Und die hat es in sich. Sie kann wachsen, sich erinnern, lernen und komplexe Aufgaben lösen. Woran Menschen Jahrzehnte arbeiten, schaffen Schleimpilze in einem Tag. Ohne Gehirn.
Ein Schleimpilz sieht aus wie ein Haufen feiner, verzweigter Adern und kann mehrere Quadratmeter groß werden. Überall auf der Welt breitet er seine schleimigen, oft knallgelben Ärmchen über Waldböden aus. Wenn ein Schleimpilz Futttter sucht, kriecht er nicht, sondern wabert. Seine Adern beginnen zu pulsieren, in ihnen schwingt Zellflflüssigkeit hin und her. Sie ziehen sich zusammen und strecken sich, ähnlich wie Muskeln. So bewegt er sich fort, wenige Zentimeter pro Stunde. Sein Adersystem fungiert auch als Gedächtnis. Studien haben gezeigt: Der Einzeller kann sich merken, wann er in Deckung gehen sollte oder wo es Futter gibt.
Stößt ein Schleimpilz auf Nahrungsquellen, sucht er den kürzesten Weg, um diese miteinander zu verbinden. Denn: Je kleiner seine Oberfläche, desto geringer die Gefahr, auszutrocknen. So formt er hocheffiiziente Netzwerke aus Adern, die Nährstoffe hin und her transportieren können. Wie effizient sie wirklich sind, zeigten Forschende aus Japan im Jahr 2010. In einem Experiment ordneten sie einzelne Haferflocken so an, dass sie das Zentrum Tokios und die Zugstationen der Vororte drumherum repräsentierten. Dann setzten sie einen hungrigen Schleimpilz ins Flockenmuster. In nur 26 Stunden hatte er sich alle Flocken einverleibt und dabei das ausgeklügelte Schienennetz Tokios nachgebaut. 2012 folgte eine internationale Studie, die die Verkehrsnetze in 14 Regionen miteinander verglich. Das Ergebnis: Die Autobahnen zwischen Städten in Belgien, Kanada und China sind dem Schleim-Vorbild am ähnlichsten und damit am effizientesten, Schlusslichter sind die USA und Afrika.
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