Verabredung mit einem Roman
Sie starrte unverwandt auf den leeren Bildschirm, doch ihr wollte einfach nichts einfallen. Wie oft hatte sie sich schon vorgenommen, heute setze ich mich hin und beginne endlich mit meinem Roman. Dabei hatte sie noch keine Handlung vor Augen, das einzige, was sie sicher wusste war, dass in ihr Geschichten wohnten. Geschichten, die geschrieben werden wollten, die drängelten, sich schubsten, um ans Tageslicht zu kommen und gelesen zu werden. Sie sah das Wort Silbenstau rot vor ihrem geistigen Auge aufblinken und beschloss, dem Dilemma nun endlich ein Ende zu bereiten.
Geburtshilfe ist schwer, dachte sie, während sie dem leisen Klack Klack der Tasten lauschte. Vielleicht sollte ich einfach losschreiben, so wie jetzt, vielleicht ergeben sich dann die Bilder wie von selbst, doch je verzweifelter sie lauschte, umso dumpfer und leerer wurde es in ihr.
Sie verwarf das bisher Geschriebene, Strg A und löschen, so einfach geht das heute, bemerkte sie. Ihr fielen ihre ersten Schreibversuche auf der schwarzen Schreibmaschine ihrer Großmutter ein. Die Schwergängigkeit der Tasten und ihre Verzweiflung angesichts der Tippfehler, die sie umständlich mit einem entsprechenden Band entfernen und danach überschreiben musste. Und das Klingeln, dieser scheppernde helle Ton am Ende einer Zeile, der den Sprung in die nächste Zeile ankündigte.
Sie schüttelte sich kurz, Konzentration bitte, zurück ins Hier und Jetzt. Die Unterbrechung hatte sie erneut aus dem Schreibfluss heraus geworfen, was um Himmels willen störte sie ständig?
Wie gelang es nur den unzähligen Schriftstellern, fest an ihrem Platz sitzen zu bleiben und zu schreiben und zu schreiben, überlegte sie.
Autoren verzweifeln oft, stand überall geschrieben, man hört ja so viel von Schreibblockaden und Methoden, wie man sich selber überlisten kann, um diesen Blockaden nicht ohnmächtig ausgeliefert zu sein. Regalböden voller Ratgeber zu dem Thema gibt es, würde es die Schreibenden nicht so quälen, würde man diesem Problem nicht so viel Bedeutung schenken, dachte sie still bei sich und rührte verträumt in ihrem Kakao, dem sie zur Inspiration einen Teelöffel Rum beigefügt hatte. Lumumba hatte ihre Mutter das Getränk genannt, Lumummmmmmba und beim m hatte sie wohlig geschnurrt wie ein Kätzchen.
Contenance- Reiß dich zusammen, rief eine innere Stimme und sie reckte unweigerlich ihren Rücken und verbündete sich mit Disziplin und Pflicht.
Ja, wenn Buchstaben nicht geboren werden können, quält das unendlich. Es ist vergleichbar mit der Geburt eines Kindes. Bei manchen Frauen wollen sich erst gar nicht die Wehen einstellen, es fehlt also die austreibende Kraft, bei manchen öffnet sich trotz Wehen der Muttermund nicht, Wortkrampf nannte sie es still und heimlich und tröstete sich mit der Gewissheit, dass es nahezu jedes Kind auf die Welt schafft. Warum nicht auch ihr Roman.
Lang genug bebrütet hatte sie ihre Silben und Satzkonstrukte, lebenslang sozusagen, welchen Grund sollten sie also haben, sich nicht endlich einmal zu zeigen?
Schnitt -
Vielleicht sollte sie es mit einem Diktiergerät probieren, ja, schreiben im Laufen, das wäre ein Versuch wert, um Bewegung in ihre Gedanken zu bringen. Bewegung in ihren Kopf, der wie ein benebelter Wattebausch, seltsam losgelöst, seine eigenen Wege zu gehen schien. Wieder fielen ihr Fragmente aus ihrer Kindheit ein, wie der Versuch, ein Streifenhörnchen mit einem mit Chloroform getränkten Wattebausch von seinem Leiden zu erlösen, um die Tierarztkosten zu sparen. Er misslang, betäubt waren nur die Ausführenden, während das Tier fröhlich im Käfig herum sprang. Sprache als herumspringendes Tier – auch eine Idee…
Sie verwarf den Gedanken an das Laufen und zwang sich, weiter sitzen zu bleiben. Ich kann mir die Bewegung denken, das schafft mein Gehirn doch bestimmt, ich kann mir schließlich alles in mein Leben denken, wenn ich nur möchte. „ Happiness is a decision !“ – diese Karte hing als Mahnmal am Eingang ihrer Zimmertür und erinnerte sie an diese oft ungenutzte Option.
Also beschloss sie, sich in ihren letzten Urlaub zu denken, in die grüne Oase des Spreewaldes und den trägen Wasserfluß der zahlreichen Fliesse. An die Märchen und Sagen, die in den verschlungenen Baumwurzeln am Ufer zu schlummern schienen, an das milde Abendlicht, das durch den Hollerbusch fiel, während sie von ihrem Roman träumte. Ach, könnte ich doch meine Geschichten einfach wie Holunderbeeren von den Zweigen klauben und ihre Süße ernten. Funktioniert so nicht das Schreiben? Ich ernte das Gelebte, das Erlebte, ich ernte das Gefühlte und Verwühlte in mir und versuche es, in Worte zu fassen. Fassen – Fass - Buchstaben als Einfassung, auch ein interessanter Gedanke. Nein, Sprache dient der Öffnung und nicht dem Einschließen. Durch das Aussprechen oder Schreiben und vor allem durch das Teilen der Phantasie mit den Lesern können sich unzählige neue Assoziationen und Bilder dazu gesellen und das Gedachte bunter und vielfältiger erscheinen lassen. Ich lasse einen roten Luftballon steigen und er kann sich in ein wogendes Luftballonmeer verwandeln. Was eine Kraft!
Es klingelte an der Tür, rasch speicherte sie das Verfasste, klappte ihren Laptop zu und eilte zu iher Verabredung. Das Date mit ihrem Roman war geplatzt.
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Das liest sich flott und frisch, wie von der Leber frei weg geschrieben, liebes Frollein.
Das Date mit dem Roman sollte das LI unbedingt wiederholen.
Und es hat mich auch sehr gefreut, dass du dich auch mal an eine Geschichte gewagt hast.
Überzeugend und flüssig und sprachgewandt!
Sirius
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