Man hatte ihn gewarnt! Ein Besuch der Erde kann zu unangenehmen Nebenwirkungen führen: Traumata, Dauerübelkeit und -erbrechen, Wahnsinn, Schweißmauken … Er aber versicherte sein Leben und beamte sich nach Bielefeld. Dieser Ort bekam dadurch immense Bedeutung und wurde dafür zur Strafe als nicht existent verleugnet. Klar, wenn kein Mensch mehr, sei er nun Reporter oder Philosoph, wegen den vielen Einbahnstraßen in die Stadt rein kommen kann, dann schmeißt er seinen Plato und Descartes weg und macht einen auf Lügenpresse, schreibt Blödsinn, anstatt ordentliche Grundlagenforschung zu betreiben: Bielefeld versteckt sich nur hinter dem Ortsschild, und da steht vorne Gütersloh drauf. Deswegen hat bei Gütersloh niemand Zweifel, dabei ist das bloß ein Vorort von Bielefeld, übrigens genau so wie New-York.
Doch mein geliebtes Bielefeld
Gäb es nicht auf dieser Welt
Leute, wer so was erzählt
Tut das ganz bestimmt für Geld.
(In Wirklichkeit findet der Schreiber dieses Reiseberichtes Bielefeld völlig uninteressant. Deswegen wird er demnächst mal wieder hinfahren. Diese Hinterm Teutoburger Waldmenschen sind so herrlich beruhigend anspruchslos.)
Also aber machte sich der Tourist auf, andere Orte zu besuchen. Voller Ehrfurcht betrachtete er die schmelzenden Polkappen und erfreute sich an verstopften Mega-Metropolen und ihren pittoresken Slums, direkt neben der Zentralbank mit gewagter Architektur. Er stand in der Menge, die Diktatoren zujubelte, besuchte Parlamentssitzungen, unterschrieb voller Überzeugung Petitionen für und/oder gegen irgendwas, lustwandelte durch die parzellierten letzten Urwälder, bestaunte die bemerkenswerte Effizienz der Maßnahmen zur Bekämpfung von bemerkenswert effektiv schrumpfenden Walbeständen, weil die Japaner unbedingt herausfinden wollen, wie viele man von denen zu Forschungszwecken jagen kann, bevor sie aussterben.
Auf seinen Postkarten (per intergalaktischem Expressdienst) lobte er die Versuche, der Überbevölkerung mit Kriegen, Massakern und Hungersnöten bei zu kommen. Doch sogar systematische Vergiftung konnte/wollte daran nichts ändern und so erfüllte sich in enormen Wirkungsgrad das göttliche Gebot: 'Seid fruchtbar und mehret euch'. In anderem Kontext also: 'Mehr Ficken Ohne Verstand'. Eine für jeden Leser nachvollziehbarer Direktive, selbst dann, wenn katholische Bischöfe mit Frauenphobie kleine Jungs nutzen, um das Zölibat einzuhalten. Was Gott davon halten würde? Vermutlich nicht viel.
Der Tourist allerdings fand Gefallen an den kleinen individuellen Absonderlichkeiten der Kulturen. Wenn tausend Leute auf die Knie fallen, entsteht eine Massenseele, die über jeden Verdacht erhaben ist. Das müssten Allah, Gott, Thor, Vishnu, Buddha und Konsorten doch zu berücksichtigen wissen, Jesus auch, und das Göttliche etwas moderner auslegen, nicht immer nur 'Tradition' brüllen, sondern auch Veränderung zulassen, also die Konstanten diversifizieren, variieren, editieren, modifizieren usw.
Aber das störte den Touristen nicht. Er war kein Kritiker. Er guckte nur. Oft verständnislos, bis ihm jemand erklärte, warum Schnabeltier. Ihm konnte so etwas nicht passieren, denn er war ja nur ein Beobachter. Er hatte außerdem eine lebenslang gültige Lebensversicherung abgeschlossen. Das ging auch so lange gut, bis jemand dahinter kam, dass jeder Beobachter das zu Beobachtende beeinflusst. Das war schon schockierend, aber er lernte zwangsläufig schnell dieses kleine Unbill durch Missachtung zu ertragen.
Er aß, was auf seinem Heimatplaneten als Sondermüll gelten würde, trank Wasser mit Microplastikpartikeln, Hormonen, Antibiotika und Blaualgen, glotzte Glotze bis Pupillenstillstand, hörte Helene Fischer und überlebte auch alle anderen Sehenswürdigkeiten dieser Welt. Die Pyramiden machten ihm deutlich, dass die nach oben offene Skala grenzenloser Blödheit keine Erfindung der Neuzeit ist, und das unterband schon mal jede weitere Überlegung, ob das denn alles so richtig sei. Skepsis ist bloß ein Fremdwort, dachte er und wäre fast einer folkloristischen Beschneidung beigewohnt, wenn er nicht vorher heraus gefunden hätte, dass diese an ihm selber vorgenommen werden sollte. Statt dessen überlegte er (heimlich wegen der political correctness): Wenn er in einer Kultur groß geworden wäre, wo scharfe Messer schwingende finstere Gestalten seinen Penis malträtieren, bei Allah, wahrlich fürwahr, er hätte auch ein noch mehr gestörtes Verhältnis zur Sexualität.
„So ist es.“, flüstert Fatalima, eine der Musen, die in keinen Schriften erwähnt wird, außer gerade jetzt. „Und es ist wohlgeraten. Alles gut! Erst holen wir uns die Neger nach Europa. Dann passen wir das Wetter an. Dann züchten wir Ananas in den Alpen und dekorieren die Gegend mit einigen Oasen. Na?“
„Hört sich vernünftig an. Aber reicht das auch?“
„Natürlich nicht! Aber es gibt jedem ein gutes Gefühl, der sich diesbezüglich vergeblich bemüht. Das ist wichtiger als Resultate. Schon mal etwas von Schicksal oder Kismet gar gehört?“
Der Tourist wartet immer noch auf den Rückreisetransport, doch die Engel streiken. Und der Höllenexpress ist überfüllt.
Zehn Weise können nicht einen Idioten ersetzen!
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Auch diese Geschichte hat mir wieder blendend gefallen, trotz Neger und Bielefeld. Die Neger streust du ja gerne mit ein.
Aber Olga, die Muse der Barmherzigkeit, meint, du meinst es nicht so.
Deine Schreibe ist halt toll und dein Stil so "glaubwürdig", dein Humor mag ich am liebsten. Ich hab sonst wenig zu lachen.
Also danke auch für diesen sehr gelungenen Beitrag!
Sirius
Reset the World!
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