Identifikation einer Tochter
Vor der „genialen Freundin“: Elena Ferrantes Debütroman „Lästige Liebe“ von 1992 in einer neuen Übersetzung.
Delia weiß Bescheid: „Die Kindheit ist eine Fabrik von Lügen.“ Zu dieser bitteren Erkenntnis hat sie die Suche nach einer Gewissheit geführt, die es nicht geben wird. Denn ihre Mutter ist tot vor Neapels Küste aufgefunden worden. War es ein Unfall aus Unachtsamkeit? Selbstmord? Elena Ferrantes Debütroman „Lästige Liebe“, 1992 im Original erschienen und aufgrund des großen Erfolgs der Neapel-Tetralogie nun neu übersetzt, taucht ein ins Dunkel der eigenen Vergangenheit. Er spielt in den schäbigen Häusern und kaputten Straßen Neapels, einer Stadt, die für Ferrante, wie sie einmal schrieb, ein Teil ihres Körpers ist. So empfindet es auch Delia. Auch als erfolgreiche, in Rom lebende Comiczeichnerin kann sie ihre Herkunft nicht verleugnen.
Die Mutter des Romans – wie angeblich auch die der Autorin – ist von Beruf Weberin. Sie reduziert das „Unbehagen der Körper aneinander“ auf Stoff und gibt der Maßlosigkeit ein Maß. Das kann man als Selbstbeschreibung dessen lesen, was das Phantom Ferrante ganz allgemein anstrebt. Die Schriftstellerin hat das kunstvolle Verweben von Motiven, Metaphern und Figuren perfektioniert.
In der Mutter von „Lästige Liebe“ ist die Tragik der „genialen Freundin“ aus dem gleichnamigen Welterfolg bereits eingeschrieben. Sie ist derselbe Archetyp, auch der Konflikt mit der Erzählerin, der sich in der symbiotischen Beziehung zweier ungleicher Gefährtinnen zeigt, ist darin bereits angelegt.
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https://www.tagesspiegel.de/kultur/debue...r/23831356.html
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