Ich zog eine Nummer und wartete. Um mich herum lauter Leute mit ähnlichen Anliegen.
Klugerweise hatte ich mir Lektüre, Brote und Kaffee mitgebracht, und als ich bei Kapitel 178 von Murks sein Kapitol angekommen war, wurde ich kurz vor Büroschluss aufgerufen.
„Guten Nachmittag. Ich möchte ein Gewerbe anmelden.“
„Deswegen sind sie ja jedes Mal hier. Was soll es denn diesmal sein? Flöhedompteur, Bezirksbesamer? Gullimumpfenzucht?“
„Ganz ordinär: Dienstleistung.“
„Was für eine Dienstleistung?“
„Mortale Dienstleistung: Unaufgeklärte Morde.“
„Aha. Eine Art Detektivbüro. Na, meinetwegen.“
„Nein-nein. Eher im Gegenteil. Ich kläre die Morde nicht auf, ich begehe sie.“
„Bitte?“
„Nun, ich habe fast alle Comics gelesen, die mit Superschurken zu tun haben, mir ein Buch über organisiertes Verbrechen mit vielen bunten Diagrammen organisiert, übrigens bei dieser Organisation für Öffentlichkeitsarbeit der Polizei, und glaube nun zu wissen, was Mörder immer verkehrt machen, nämlich sträfliche Vernachlässigung eines organisatorischen Ablaufplanes, und dass ich so etwas besser machen kann, ohne dass man mich dafür belangen könnte. Aber ich will als verantwortungsbewusster Bürger natürlich auch nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten und deswegen meine Erträge versteuern. 10 % pauschal?“
„40!“
„20?“
„30!“
„25?“
„O.K. Bis zur Buchprüfung. Plus 19 % MwSt.“
„7,5 % ?“
„16 %!“
„10?“
„15! Letztes Wort!“
„Gebongt!“
„Unterschreiben sie hier und da.“
Am nächsten Tag konnte man in der Zeitung lesen: Auftragsmorde zu sensationellen Einführungspreisen. 30 % Rabatt auf Schwiegermütter. Bei drei Aufträgen berechnen wir nur zwei.
Slogan: Wir entfernen die Rasierklingen aus der Zuckerwatte des Lebens.
Um 8.13 Uhr konnte ich ich die erste Anzahlung auf eine Inhumierung ins Kassenbuch eintragen. Bar und in gebrauchten Scheinen (In der Fachsprache bedeutet Inhumierung das Gegenteil von Exhumierung, auch Nullung bzw. Annihilierung genannt). Die Steine im Schuh von diesem Kunden waren natürlich seine Vorgesetzten. Er bestellte einen Massenmord und ich räumte ihm Skonto ein, zusätzlichen Rabatt und garantierte schnellste Erledigung ASAP. (As soon as possible. Eine Geschäftsbrieffloskel, falls der Leser das noch nicht wissen sollte)
Am nächsten Tag um 14.34 Uhr riss das Tragseil, als die Führungsriege seiner Firma gerade vom 38'sten Stock in dem dafür reservierten Fahrstuhl zu einer Vorstandssitzung im Erdgeschoss unterwegs war. Die Fallbremse gab sich auch total materialübermüdet, was vielleicht an der Behandlung mit Antirostschutzmittel gelegen haben könnte, und so kamen die Manager und -innen wesentlich schneller unten an als erwartet und räumten als flach gewordene Biomasse den Weg für eine steile Karriere frei. Ich selber weilte zu diesem Zeitpunkt natürlich woanders. Im Ratskeller, vis a vis mit dem Polizeidirektor, und aß Rehrücken mit Pfifferlingen und Spaghetti.
Die Ermittlungen liefen erst gar nicht bei mir auf und sowieso ins Leere.
So etwas spricht sich schnell rum: Spaghetti passt einfach nicht zu Rehrücken!
Mein Geschäftskonzept sah vor, niemals selber tätig zu werden, sondern nur als Vermittler auf Provisionsbasis zu agieren. Mister 130 Prozent nannte man mich bald. Ich hatte schon den ersten Auftrag gleich an einen Sub weiter gereicht – anonym. Es laufen schließlich genügend Leute herum, die für Geld auch ihr eigenes Kind überfahren würden. Es kam bislang bloß niemand auf die Idee, diese brachliegenden Ressourcen auszubeuten.
Inzwischen habe ich einen festen Kundenstamm, einen Azubi, eine wunderschöne Empfangssekretärin und etliche freie Mitarbeiter. Über dem extra düster gehaltenen Portal zu meinem Vermittlungsbüro steht in Styropor geschrieben: No monetus – no totus.
Der Trick, nicht erwischt zu werden, war ganz einfach: Ich ließ mir einige fremde und eigene Gesichter im 3D-Drucker ausplotten, legte einen Briefumschlag mit Anzahlung, empfohlenem Tatablauf und Opferdaten dort ab, wo der Subunternehmer sie nicht übersehen konnte, und nannte einen Festpreis, den mein Rechner anhand von 239 strengen Kriterien ermittelte. Ansonsten sah man mich zur Tatzeit bloß an 15 verschiedenen Orten und die Nachricht vernichtete sich nach Kontakt mit Luft, Licht und Lesen von selber. Mein kleiner Chemiebaukasten für kleine Chemiker war dabei äußerst hilfreich.
Wenn zwischen Ausführendem und dem Objekt der Vertragserfüllung keinerlei Verbindung besteht, ist es fast unmöglich einen Ermittlungsansatz zu finden. Inzwischen habe ich sogar den Polizeidirektor auf meiner Kundenliste. Er will Bürgermeister werden anstelle des Bürgermeisters.
Andererseits hat der Bürgermeister auch eine Anzahlung auf das vorzeitige Ableben seines Mitbewerbers geleistet. Mal sehen, wie ich dieses organisatorisch schwer zu händelndes Problem in den Griff bekommen werde. Seit Jamal Khashoggi ist der politische Mord schließlich wieder ein legales oder meinetwegen auch legitimes Mittel der Politik. Allerdings nur für Leute aufwärts Landesfürst. Bei Kronprinzen jedenfalls allemal. Mein Beruf hat somit etwas mit Demokratisierung zu tun: Man braucht kein blaues Blut um mich zu engagieren. Geld alleine genügt. Jeder kann mich beauftragen, na-ja, bis auf die armen Armen, aber ehrlich gefragt: Zählen die überhaupt?
Einen Auftrag allerdings musste ich empört ablehnen: Mich selber zur Strecke bringen. Der Preis für dafür, den mein Rechner ermittelte, war total negativ. Das ging ja gar nicht. Tot ist ja in Ordnung, aber pleite?
Zehn Weise können nicht einen Idioten ersetzen!
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Ich freue mich, dass du eine sinnvolle Altersbeschäftigung gefunden hast, Karl-Ludwig.
Und auch noch als Gewerbe. Ich denke, da kann man zufrieden sein. Möglicherweise kannst du sogar einen Antrag auf Gemeinnützigkeit stellen, das würde dir noch einen großen Steuernachlass bringen.
Eine großartige und beeindruckende Krimi-Satire hast du hier geschaffen, mit einer Geschäftsidee, wie sie auch das FLIX-Bus Unternehmen praktiziert, nur nicht so elegant.
Diese Art Geschichten liegen dir, auch der trockene, leicht arrogante Humor kommt gut rüber.
Ich bin jedenfalls begeistert!
Sirius
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