Natascha Wodin „Nastjas Tränen“
In ihrem Roman „Nastjas Tränen“ erzählt Natascha Wodin, wie es einer Frau aus Osteuropa im Deutschland der neunziger Jahre ergehen konnte.
Die Tränen, die dem neuen Buch von Natascha Wodin den Titel gegeben haben, fließen schon sehr früh in diesem Roman. „Nastjas Tränen“ sind der Auslöser für die Geschichte zwischen der Erzählerin und jener Frau.
Natascha Wodin, Schriftstellerin, Dolmetscherin und Übersetzerin aus dem Russischen, zog 1992 aus Nürnberg nach Berlin und suchte nach Hilfe für die Wohnung, weil sie sich den Rücken ramponiert hatte. Aus den vielen Reaktionen auf ihre Anzeige pickte sie Nastja heraus, berichtet die Ich-Erzählerin, die erkennbar vieles mit der Autorin gemein hat. Um der Putzhilfe eine Freude zu machen, legte sie eines Tages eine alte Platte mit ukrainischer Volksmusik auf. Aber Nastja freute sich nicht, schreibt Wodin weiter, „stattdessen brach sie, die immer so zurückhaltend und scheinbar unbeschwert gewesen war, in Tränen aus“.
Es ist nicht Mitleid, was die Erzählerin beim Anblick der Frau ergreift. Denn zu dem Zeitpunkt weiß sie noch so gut wie nichts über Nastja. Es überfällt sie die Erinnerung: „Schlagartig erkannte ich in ihren Tränen das Heimweh meiner Mutter wieder, dieses grenzenlose, unheilbare Gefühl, das das Rätsel meiner Kindheit gewesen war, das Mysterium meiner Mutter, die große dunkle Krankheit, an der sie gelitten hatte, solange ich sie kannte. Fast jeden Tag hatte ich ihre Tränen gesehen, und ich hatte immer gespürt, dass ich gegen das, was sich Heimweh nannte, keine Chance hatte, dass meine Mutter sich jeden Tag ein wenig mehr darin verlor, dass sie unentwegt im Verschwinden begriffen war, dass sie eines Tages endgültig weg sein und nur noch das Heimweh von ihr zurückbleiben würde.“
Mit diesen Sätzen trifft Natascha Wodin ihre Leserinnen und Leser erneut an einer sensiblen Stelle, erstmals aufgewühlt durch ihr 2017 erschienenes Buch „Sie kam aus Mariupol“, das für Furore gesorgt hatte. Es handelt von ihrer verschlungenen und unerwartet erfolgreichen Recherche der Biografie ihrer Mutter, die 1944 als Zwangsarbeiterin aus der Ukraine nach Deutschland verschleppt worden war.
Der Roman wurde nicht nur ausgezeichnet und gelobt, wie schon viele ihrer Bücher zuvor, sondern verkaufte sich auch sehr gut. Das galt ebenfalls für den Folgeband, der wie ein Ergänzungsstück zu „Mariupol“ wirkte: „Irgendwo in diesem Dunkel“ – der Vater-Roman.
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https://www.fr.de/kultur/literatur/natas...s-90968772.html
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