Steven Uhly: Die Summe des Ganzen
In seinem Roman "Die Summe des Ganzen" erzählt Steven Uhly die Geschichte eines pädophilen Priesters. Verlangt das den Lesern zu viel ab?
In der Rangfolge problematischer Protagonisten steht ein pädophiler Priester wohl sehr weit oben auf der Liste. Niemand hat Lust, sich als Leser oder Zuschauer mit ihm zu identifizieren, ihn umweht auch nicht der faszinierende Hauch des Bösen wie so manchen Verbrecher, der gleichermaßen anzieht und ekelt. Sofort ist man mit den Gedanken bei schändlichsten Missbrauchsfällen der katholischen Kirche, bei desaströser Vertuschung, bei dem immensen Schmerz, den eine Institution ihren Schwächsten zugefügt hat. Nichts an der Figur ist faszinierend, dafür vieles abstoßend.
Ins Herz eines solchen pädophilen Priesters wagt sich Steven Uhly vor in seinem Roman "Die Summe des Ganzen", den der Secession-Verlag herausbringt. Er stellt sich die schier unlösbare Aufgabe, die Gedanken und Gefühle seines Protagonisten so nachzuzeichnen, dass wir sie nachvollziehen können und trotzdem nicht aussteigen, angewidert von ihm oder von uns selbst, dass wir einen Moment der Zustimmung mit ihm erleben.
Der bequemere Weg wäre es natürlich, eine solche Geschichte von der Opferseite her zu erzählen, mit Opfern mitzufühlen, ist leicht, aber Uhly hat ganz offenbar keine Lust, es sich bequem zu machen. Nicht weil er mit dem Roman werben will für die differenzierende Ansicht "Auch pädophile Straftäter haben Gefühle" (obwohl das natürlich stimmt), sondern womöglich, weil er Freude an der Herausforderung hat.
Und um es kurz zu machen: Die meistert er. Auf 156 Seiten inszeniert Uhly aus dem Beichtstuhl und den finstersten Winkeln der menschlichen Psyche heraus ein Kammerspiel, das sich zum Thriller ausfaltet. Im Zentrum steht Padre Roque de Guzmán, 50 Jahre alt. Der geht einem augenscheinlich gemütlichen Priesterleben am Stadtrand von Madrid nach, leitet einen Knabenchor und betreut täglich im Beichtstuhl seine Schäfchen, redet ihnen ins Gewissen und nuschelt Floskeln der Vergebung. Es sind schlichte Sünder: Der eine schlägt seine Frau, der andere geht zu Prostituierten. Guzmán hegt Sympathien für sie, ermuntert sie zur Umkehr, bis, und so beginnt die Geschichte, dieser aufgebrachte Mann im Beichtstuhl auftaucht. "Ich habe einen Nachhilfeschüler, der ...", stammelt er und stockt, doch man ahnt, wie der Satz weitergehen müsste.
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https://www.sueddeutsche.de/kultur/steve...ritik-1.5697877
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