Nicolas Mathieu: Jede Sekunde
In "Jede Sekunde" beschreibt Nicolas Mathieu eine klassische Amour fou, eine Seitensprungliebe, die mit der Naturgewalt eines Bergrutsches einen Mann erwischt, der seine Erinnerungen retten will, indem er sie so genau wie möglich beschreibt.
von Annemarie Stoltenberg
Nicolas Mathieu gehört in eine Reihe französischer Dichterinnen und Dichter, die über große Lieben schreiben, die verboten sind. Er fügt diesem Kanon einen Text hinzu, in dem die Liebe luftig wie eine zarte Feder wirkt und sich gleichzeitig als Mühlstein um den Hals erweist. Seine Erzählung ist sprachlich eine subtile Mischung aus Sexappeal, Weltgewissen und Melancholie.
Die Hauptperson, ein Schriftsteller, der viel auf Reisen ist, erzählt von der großen Zeit seiner Liebe:
Ich trage den immensen Schatz unserer Geschichte in mir, die Dolchstöße, unsere in Schweiß gebadeten Körper, das noch ordentliche Bettzeug und unsere sich verhakenden Finger, die Urlaube, den eilig getrunkenen Kaffee, ein Weihnachten voller Kinder und unsere Redegewohnheiten, unsere eigene Sprache, denn jede Liebe ist ein indigenes Volk mit seinen Riten, seiner Grammatik, seinen Feinden (...).
Und jede Liebe hat einen Hauptfeind: die Zeit. Er erinnert sich hier an die leidenschaftlichen Jahre mit seiner Ehefrau, als sie 30 waren, an die Nächte mitten am Tag, an ihr Lächeln im Dunkeln, ihr Schmollen, den Duft ihrer Haare, jedes Detail bis zu den abgeknabberten Fingernägeln. Aber die Liebe ist im Alltag verschwunden. Seine Sehnsucht jetzt, sein gesamtes Denken und Fühlen, gelten einer anderen Frau, ohne die alle Welt leer und absolut trostlos ist. Er kann sie gerade nicht treffen, weil sie krank ist und offenbar bei ihrer eigenen Familie bleibt. Bei der Vorstellung seiner von Fieber erhitzten Geliebten steigert er sich in erotische Träume hinein:
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https://www.ndr.de/kultur/buch/tipps/Jed...mathieu114.html
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