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RE: Aus meinem langweiligen Leben (1970)

#1 von Karl Ludwig , 16.02.2017 05:21

Vorwort: Die Geschichte als solche schrieb ich vor langer Zeit zum ersten Mal; allerdings stellte ich mich damals als einen trotzigen Helden dar. Das war ich aber gar nicht. Ich war bloß ein kleines Scheißerchen gewesen.

Heute will ich mal versuchen, meine Rolle von damals realistischer zu schildern.

Rahmen: Bielefeld, Sozialpädagogik (lacht nicht), Krankenpflegerausbildung (abgebrochen), Anarchokreise. Meine Bekannte war bekannt als Jeanne d'Arc der Roten Front, gefährlich nah am Gedankengut oder eher -schlecht von Ulrike Meinhof, Jurastudentin, Frauenrechte vertretend, sexy.

Wir bekamen Stress, weil ich keineswegs ihren Ansprüchen als Revolutionär entsprach.

Ich reagierte wie jeder Mann auf Beziehungspunk reagiert: Ich besoff mich. Das Ergebnis war wenig erleichternd. Also soff ich weiter und hatte ganz tolle Ideen: Noch ein Glas. Und noch eins. Usw.

Um zwei Uhr schloss die Kneipe und auf dem Heimweg kam ich am städtischen Krankenhaus vorbei. Unser kleines Wohngemeinschaftshäuschen lag keine 200 Meter vom Haupteingang entfernt, durch welche man das Klinikgelände mit seinen unterschiedlichsten Abteilungen betreten konnte. Ich kannte mich gut aus und ging durch einen Nebeneingang direkt in den Keller des Hauptgebäudes, zog mir einen weißen Kittel an, der in einer Abstellkammer für das Putzpersonal hing, - und Gummihandschuhe, öffnete eine der Durchreichen zur Krankenhausapotheke mit einem kleinen Draht – es waren keine besonders komplizierten Schlösser, trat das sichernde Holzkreuz durch und krabbelte in den Raum. Mein besonderes Interesse galt dem Tabula C. Ich vermute, dass mein Unterbewusstsein schon längst ausbaldowert hatte, wie ich an den Inhalt komme. Also hebelte ich den Schrank mit einem Laborstativ auf, nahm eine gute Nase Pantopom und füllte einen großen Pappkarton mit 'Vom Feinsten' auf: Pantopom, Morphium, Dilaudit, Dicodit, Polamidon, Eukodal, Oxycodon, und was weiß ich noch, nach all den Jahren.

Meine Bekannte flippte fast aus, als sie dieser Bescherung ansichtig wurde. Das durfte nicht sein, dass politischer Widerstand mit Drogenkriminalität in Verbindung gebracht wird. Also wurde der ganze Karton zu einer Landkommune gefahren: „Verstecken und später verkaufen wir das Zeugs am Stück nach Frankfurt, die Revolutionsfinanzen sanieren.“

Leider fingen die Genossen an mit dem Zeugs vor Ort zu dealen. Drei Wochen später hatte die Bullisei mich am Schlafittchen. Unser eigene Anwaltschaft gab sich keine besondere Mühe, mich aus der U-Haft zu holen. Auch waren keine spektakulären Befreiungsaktionen zu erwarten. Also besann ich mich nach einem Monat (ich musste erst mal wieder das Hirn in Gang bringen und entgiften) auf die Vorteile meiner großbürgerlichen Kaste. Deal mit dem Staatsanwalt: Geständnis und Entlassung für 4.000,00 DM Kaution.

Ein Onkel blätterte das Geld hin und setzte mich in ein Flugzeug zu Mama. Die flog auch gleich nach Deutschland und redete sich den Mund fusselig. Erleichternd kam hinzu, dass die Frau von einem Richter früher unsere Babysitterin war; mein neuer, alteingesessener Anwalt (schweineteuer) kannte wohl jeden Justizler, kurz, das verlorene Schaf musste in einer Gemeinschaftsaktion gerettet werden.

Die Verhandlung war ein Witz. Man erstellte eine günstige Sozialprognose, mein Stiefvater hatte mir einen 'leitender Angestellter Vertrag' zugesteckt, der Anwalt hielt eine Rede über meine Vorzüge, die Richter nickten 'trotz Bedenken' ab und fast alles war wieder gut.

Nur meine Kommunarden hielten mich für einen Volksverräter. Was ich auch war.


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RE: Aus meinem langweiligen Leben (1970)

#2 von Richard , 16.02.2017 08:31

Hallo Karl-Ludwig,
als ich Bielefeld las, musste ich unweigerlich lachen, denn Du weißt doch, dass es dieses Bielefeld eigentlich gar nicht gibt!

Mein damaliger bester Freund lebte dort und führte mich, sehr jungen und ambitionierten Punker in Ausbildung, in die Autonome Szene ein. War toll -vermute ich, denn vieles ist mir entfallen. Räusper. Mit etwas Grundwissen in Sachen Landfriedensbruch usw. fand ich mich einige Zeit später in Wuppertal wieder, wo ich meine politischen Ansichten lange Zeit ..äh.. intensivierte. Im Nachhinein ist es ein kleines Wunder, dass ich hier sitze. Vielleicht erzähle ich auch irgendwann mal, warum..

Ich sag mal so, Karlchen, Deine Story kommt mir sowas von bekannt vor, ich musste sehr oft schmunzeln.

Peace.

 
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RE: Aus meinem langweiligen Leben (1970)

#3 von Karl Ludwig , 16.02.2017 10:45

Bielefeld ist sowas von Tatsächlich, Du glaubst es kaum. Das Problem sind nur die vielen Einbahnstraßen und dass deswegen keiner mehr rein kommt. Und manchmal versteckt es sich sogar hinter dem Ortsschild oder rennt gleich davon in den Teutoburger Wald. Ist halt etwas postpubertär und schwer infektiös, wie ich anhand meiner Person beweisen kann.


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RE: Aus meinem langweiligen Leben (1970)

#4 von Richard , 16.02.2017 11:09


Was ich auch sehr schön finde!

Richard (Pflastersteine putzend..)

 
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RE: Aus meinem langweiligen Leben (1970)

#5 von scrabblix , 16.02.2017 19:48

Ich weiß jetzt gar nicht, ob es mir Spaß machen darf, euren Jungendsünden beizuwohnen.

Amüsiert hab ich mich jedenfalls!

Liebe Lottegrüße


Schenke der Welt mein Lächeln,
morgen lächelt sie zurück.

 
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RE: Aus meinem langweiligen Leben (1970)

#6 von kama tanha , 16.02.2017 21:16

Super Story, gern gelesen! Und mir überaus sympathisch!


"Leg dein ganzes Sein in dein geringstes Tun" (Pessoa)

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RE: Aus meinem langweiligen Leben (1970)

#7 von Karl Ludwig , 17.02.2017 07:20

Na, ich weiß nicht. Der Typ war doch Opportunist as Oppertunist can. Kaum beißt das Leben einmal zurück, rennt er heulend zu Mama und die muss es schon wieder mal richten. Genauer: Schon wieder schon wieder mal.

Mir ist diese Memme nicht besonders vorbildhaft. Oder sympathisch. Eher bemitleidenswert ob seiner tumben Art. Man neigt ja dazu, sich immer ein günstiges Selbstbildnis einzureden. Aber bei genauerer Betrachtung sind wir alle nur kleine Brummkreisel. Trösten tut mich noch nicht einmal die Tatsache, dass ich Leute kenne, die noch beknackter sind als ich. Nämlich ALLE!

Das Ganze nennt sich dann narzisstische Persönlichkeitsstörung.

Wieso Störung? Reine Norwehr!


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