Hier wird es ja immer politischer. Zu Recht! Denn was zur Zeit passiert, sind echte, menschengemachte Tragödien, die nach zorniger Betroffenheit verlangen. Warum ich dennoch immer wieder mein eigenes, kleines Leben in den Mittelpunkt der Betrachtungen stelle?
Vielleicht eine chronische Narzissmusstörung? Na, und wenn schon! (Das ist die dezidierte Steigerung von 'Na und?')
Im Rahmen meiner sozialpädagogischen Ausbildung war ich im Johannesstift (Bielefeld) als Altenpfleger unter Herrn B. Tätig. Damals hieß so eine Bude auch noch Altersheim und nicht verschämt 'Seniorenglück' oder so …
Herr B. war ein wirklich liebenswerter Mensch, der mir ein Harmonium ins Zimmer stellte, auf dem ich wüste Interpretationen vom Präludium Nr. 1 (Ave Maria) durchs Heim jagte. Ansonsten schüttelte er meistens bloß den Kopf, wenn er etwas von meinen Eskapaden mitbekam. Nur wenn es aus meinem Zimmer nach Haschisch roch, wurde er etwas ungehaltener. Woher er denn diesen Geruch kennen würde? Na, das könne doch gar nichts anderes sein, was da so stinkt.
Ich ging gerne arbeiten, weil es keinen abgeschlossenen Tabula C gab und Laudanumtropfen gegen Durchfall verabreicht wurden. Ende der 1960'er Jahre wurde das mit den Giften noch nicht ganz so eng gesehen. Da lag ein Standgefäß voll Kodein im Besenschrank – ach du meine Güte. Vielleicht wollte die Putzfrau auch mal etwas Spaß an der Freude erleben während der Selbstverwirklichung (Die war damals schwer obligatorisch und voll in, obwohl von jeder Menge offener Fragen begleitet: Z.B.: 'Wass'N'Das?' oder: 'Hat'U'Dröhnstoff?').
Damals hatte ich noch die meisten Fehler vor mir, war naiv und ziemlich fleißig – eine Programmierung aus dem Elternhaus: Müßiggang sei aller Laster Anfang. So ein Quatsch. Stoßstange ist aller Laster Anfang, sogar bei mir. (Billiger Witz von der Klowand. Musste ich einfach mal wieder loswerden.)
Meine Mutti hatte also schon wieder Schuld, denn sie indoktrinierte mich mit dem doofen, dumpfen Drang nach kontrollierter Spastik und erfolgsorientiertem Aktivismus, der mich selbst heute noch ab und an aus der Ruhe bringt: Wer rastet der rostet! Früher Vogel … Labern ist eine Sache – Machen eine andere …
Ich wusch diese Menschen in der Endphase, streute Torf auf die wundgelegenen Stellen, wo manchmal die Knochen offen lag, verteilte Medikamente, leerte Bettpfannen, – ich hatte einfach dieses gute Gefühl dabei, etwas Sinnvolles zu leisten.
Morgens lag manchmal eine Leiche im Bett. Der Zimmernachbar erklärte dann, der da hätte laut geschnauft und dann nicht mehr weiter geatmet.
Das war auch völlig in Ordnung so. Keiner kam auf die Idee, irgendwen noch schnell auf die Intensivstation zu verlegen, wenn die Zeit gekommen war, obwohl das Johanneskrankenhaus nur zwei Minuten entfernt auf dem selben Gelände stand.
Ich behaupte ja nicht, dass es schön war, die Toten zur Kapelle zu karren. Im Winter starben im Schnitt ein bis anderthalb die Woche und der Weg war weit – möglichst noch vor dem Frühstück, damit es keine Patienten aus dem Krankenhaus mitbekamen.
Später stellte ich fest, dass mir Sozialpädagogik viel zu anstrengend ist, begründete das gekonnt – ist ja egal wie – und fing damit an, Fehler zu sammeln.
Damit bin ich übrigens immer noch gut ausgelastet.
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Na ja, langweilig war dein Leben ja nicht. Und du hast auch viele richtige und gute Dinge getan.
Im Altersheim ist es nicht einfach zu arbeiten, das Menschsein stößt da an seine Grenzen.
Danke für deinen sehr informativen und feinen Beitrag!
Sirius
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