Gera, 23. Juli 1975
Abt. II. Quelle: IMK „Wally“, Abt. II/3, am 18.6 1975 erhalten. Tonbandabschrift. Wörtlich:
Mir fällt auf, dass z.B. bei einem Gedicht von Jürgen Fuchs kann ich das verdeutlichen, vom Bild her und auch rein technisch schon so viele Fehler aufgetreten sind, dass ich mir nicht erklären kann, mit welcher Wirklichkeit und bzw. weshalb Leute überhaupt darauf kommen, so etwas zu drucken. Wie z.B.:
Jürgen Fuchs
IHR BLUMEN
In den Schießbuden
Verwelkt nicht
Sonst
Werden auf den blühenden Wiesen
Die lebenden
Abgeschossen
Das ist im Grunde ein Satz, ein Gedicht, ein Sonstwas, dass schon inhaltlich von den Bildern her anzugreifen ist und vollkommen verzerrt eine Situation darstellt, die nicht der Realität entspricht. Weiter ein ähnliches:
BESICHTIGUNG
Hinter
Den Klarsichtscheiben
Der Gasmaske
Sehen Sie
Zwei Augen
im Innern
Herzkammern
Keine Gaskammern
Der Anspruch dieser Leute vor allen Dingen der des Jürgen Fuchs ist so groß, es ist eine Art von Arroganz, die sich in einem Gedicht ganz deutlich zeigt:
DIESE ANGST
Auf halber Zeile
Dass mein Stift
Zerbricht
Bevor alles gesagt
Und
Wer hört mich
Wenn ich schweige
Einzelne Sachen von ihm raus genommen aus seiner komplexen Arbeit, können im Grunde durch sein Einwirken auf das Publikum die Wirkung haben, die er sich vorstellt, die er sich wünscht, da sie jegliches Engagement im einzelnen eigentlich offen lassen.
Aus den Stasi-Akten des Dichters Jürgen Fuchs
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An Karl Kraus
...Noch eine Bitte: ich hatte von der letzten Nummer der
„Fackel“ nur ein Probeexemplar und das ist mir gestohlen
worden. Wollen Sie mir ein paar Belegexemplare herschicken?
(Die Nummer mit meinem Boheme-Artikel)
Mit meinem Tripper bin ich entschieden auf den Weg der Besserung.
Eine schwere Pollution, die sich gestern bei einem sexuellen
Exzess Bahn brach, ist ohne Folgen geblieben. Mit diesem Wunsche
auch für Sie.
Ihr Erich Mühsam
Ascona, 6/V. 1906
Aus seinen Briefen
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Schriftstelleranekdote von Franz Blei
„Borgen Sie mir sechshundert Mark“, sagte Erich Mühsam.
„Wozu brauchen Sie so viel Geld?“
„Um meine Schulden zu bezahlen. Ich will endlich damit Schluss machen“, antwortete Mühsam.
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Könige fassen keine Türen an.
Sie kennen nicht dieses schöne Gefühl, wenn man – ob sanft oder heftig – eine dieser großen, freundlichen Holztafeln aufdrückt. Sie wissen nicht, wie es ist, wenn man eine Tür zu sich heranzieht, um sie wieder in ihre alte Position zu bringen. Das ist wie eine Umarmung.
Oder das Glück bei diesem kleinen Grenzübertritt zum Nebenzimmer, sobald man nur am Türknauf dreht. Dieser kurze Handschlag in Bauchhöhe, der deinen Schritt momentan verlangsamt. Und wenn sich danach die Augen erwartungsvoll weiden und dein ganzer Körper die neue Umgebung in sich aufnehmen will.
Du hättest sie auch gern ein bisschen länger in der Hand, die Tür, ehe du sie in die Zarge zurückschiebst und dich sicher einschließt – was dir vom satten Klicken der gut geölten Falle aufs Angenehmste bestätigt wird.
Francic Ponge
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Das Auto fuhr an einen Baum. Als man zur Besinnung kam, schrie der Mann: „Wo ist der Schnellverband?“
Und die Frau antwortete: „ Er steckt in der Vasenöldose, die in meiner Puderschachtel liegt, die sich in deiner Zigarrenkiste befindet, die wir in meine Nachthemden eingewickelt haben, zuunters in meinem kleinen Koffer, der in die Reisedecke eingeschlagen und unter deine Wäsche in den großen Koffer hineingelegt wurde, den wir in der Eile zu Hause vergessen haben.“
nach Hans Weis
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Brief an Anne
Heute, auf der Fahrt nach Hause
sah ich, Anne, ohne Pause,
überall nur dein, dein Bild,
übersah ein Kurvenschild,
und du ahnst, was dann geschah:
Anne hier und Anne da,
und wie ich so an dich denke
und ganz nebenbei auch lenke
und das Auto volle Kanne
an die Planke wemst, ach, Anne!
sägen mich die Helfer raus,
fliegen mich ins Krankenhaus,
amputieren mir ein Bein –
das soll heute alles sein.
Morgen kommt das andre dran,
dicker Kuss
Dein Christian
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Als die künstlichen Menschen
Als die künstlichen Menschen gelernt hatten
sich wie Du und ich zu benehmen
wussten wir
dass unser Spiel verloren war
Da sitzen sie
etwas zu glatt im Gesicht
und trinken Tee
blicken einander tief in die Augen
oder krümmen sich vor Lachen
Unfehlbar
und doch mit größter Zartheit
spielen sie Klavier
reproduzieren sich diskret
im Nebenzimmer
und schießen die Vögel vom Dach
während wir
Veteranen der Natürlichkeit
von den Umständen zum Äußersten getrieben
keinen anderen Ausweg sehen
als engelhaft gut zu werden
oder vielleicht doch lieber
über die Maßen böse
Alfred Brendel
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Vorwort
ma
ma
aga
aga
(diktiert um den 28.12. 1958)
Vorwort zum Buch „Nennt mich Gott“ von Thomas Gsella
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Der freche Weckdienst
Guten Morgen. Es ist 7 Uhr, Sie wollten um 10 Uhr geweckt werden.
Guten Morgen. Wollten Sie geweckt werden? Es ist 7 Uhr.
Guten Morgen. Es ist 7 Uhr, Sie wollten um 5 Uhr geweckt werden.
Guten Morgen. Hatten Sie ein Taxi bestellt? Nicht? Aber es ist da.
Guten Morgen. Es ist 7 Uhr, können Sie sich vorstellen, wer aus unserem Hotel ein Taxi bestellt haben könnte?
Guten Morgen. Können Sie mir sagen, wie spät wir es haben?
Guten Morgen. Es ist 7 Uhr, und ich hatte nichts zu tun. Ich dachte mir, ich wecke Sie, vielleicht können wir zusammen reden.
Guten Morgen. Es ist 7 Uhr, Sie wollten auf gar keinen Fall vor 11 geweckt werden.
Erwin Grosche
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Im Reisebüro
„Ich möchte einen Schlafwagenplatz bestellen.“
„Oben oder unten?“
„Was ist da für ein Preisunterschied?“
„Fünf Mark. Im Allgemeinen stellt sich das untere Bett höher als das obere. Der höhere Preis gilt für unten. Wünschen Sie also unten, dann müssen Sie höher gehen, denn wir verkaufen das obere niedriger als das untere. Die meisten Herrschaften mögen das obere nicht, obgleich es sich niedriger stellt, weil es höher liegt. Denn wenn Sie ein oberes nehmen, müssen Sie raufsteigen, um sich niederzulegen, und runtersteigen, wenn Sie aufstehen. Wünschen Sie also ein höheres Bett, so wird der Preis niedriger sein, wünschen Sie aber ein niedriges, so wird der Preis höher steigen - - - übrigens: dieser Zug fährt jetzt früher, früher fuhr er später, aber später wird er wieder früher fahren - - - ist Ihnen nicht wohl?“
(nach Hans Weis)
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Erzählung
Sie lagen lange im Schlaf – da fuhren sie hoch
aus der Umarmung und sahen: die riesige
Ebene über den Augen hing in der Bläue wie ehemals.
Sie erkannten sich wieder außerhalb ihres Traums
und entdeckten ihre Namen, die sie vor Zeiten
im Zimmer zurückgelassen haten. Sie wussten noch
wo der Lichtschalter war, wo das Feuerzeug lag und der Staub
aus den sieben Sommern seit Entdeckung der Liebe
sie kannten noch die Verwendung von Sprache und Kleidern.
Das Fenster war noch da und der Erdball dahinter
schleuderte Rauch in die Sonne. Der Fahrstuhl hielt noch
im Stockwerk zwischen Wolke und Kohlenkeller.
Die Toten wurden noch immer in Kisten gelegt und die Lebenden
saßen auf Stühlen und kauten ihr Brot mit den Zähnen.
Wie in der Zeit, als sie einzeln und fremd in der Liebe
schon glaubten gelebt zu haben, spürten sie wieder die Kälte ihres
Gesichts in den Atemzügen des anderen.
Sie wussten vom Tod nur, dass er sie liebte, und warfen
einander zurück in Umarmungen, endlos.
Christoph Meckel
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Letzte Wintertage
Im Winter begegnen wir uns unter Pullovern,
Mützen und Schals.
Du nächtigst unter dicken Decken,
eine Welt von mir entfernt.
Im Sommer bist du bei den Sonnenprinzen,
ich schweige im Schatten.
Manchmal erhasche ich einen Blick und
fühle mich so ertappt,
als stünde er mir nicht zu.
Ich friere gern.
So hab ich dich noch ein paar Wochen.
Aber ich weiß, dass da noch jemand
unter deiner Kleidung ist.
Der schreibe ich Gedichte für die Schublade.
Sirius
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Bunte Woche
Es ist wirklich zu bunt, wenn ein grüner Junge blauen Montag macht, dafür von seinem grauen Vater braun und blau geschlagen wird, sodass es ihm grün und gelb vor den Augen wird, er sich darüber schwarz ärgert und rot vor Scham davonschleicht – und wenn das dann noch schwarz auf weiß in der Zeitung steht.
Unbekannt
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Dr. Enzian
Dr. Enzian erforscht zurzeit das Ungefähre.
Im Verein mit einem Doktor Cherry-Brander
(und nach dessen chemisch-zoologischer Erkältungslehre)
drängelt er durch eine lange Wasserleitungsröhre
alle drei Minuten einen Feuersalamander.
Währenddessen schreibt und rechnet Dr. Cherry-Brander,
dividiert die Zeit durch Wärmegrade, subtrahiert die Fehlerquellen –
dann vergleichen beide Forscher mittels einer Art Expander
ihre und des Salamanders Muskelkräfte miteinander,
und sie übertragen die gefundnen Resultate auf Tabellen.
Dr. Enzian betreibt das Ganze zoologisch, Dr. Cherry
chemisch.
Für die Praxis war bis jetzt noch kein Ergebnis festzustellen.
Die Versuche sind rein akademisch.
Peter Paul Althaus
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Epitaph als Epilog
Hier ruhen siebenundzwanzig Jungfrauen aus Stralsund.
Denen ward durch einen Interpreten des Dichters neueste Dichtung kund .
Die hat die empfindsamen Mädchenherzen so sehr begeistert,
Dass auch nicht eine mehr ihr Gefühl gemeistert.
Man hängte sich teils auf, teils ging man in die See.
Nur eine ging zum Dichter selbst. (Und zwar aufs Kanapee.)
Klabund
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