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RE: Die Wohngemeinschaft am Ehlentrupper Weg

#1 von Karl Ludwig , 04.01.2018 07:35

Ja-ja, ich weiß. In zunehmendem Alter neigen wir dazu, jedes Mal wenn wir uns erinnern, die Vergangenheit noch weiter zu verklären. Na und? Die Überschrift gebende Wohngemeinschaft ist mir als Quintessenz einer Kommune im Gedächtnis verankert, obwohl ich mich auch in anderen WGs sauwohl gefühlt hatte: Unter meinesgleichen, ob die das nun gut fanden oder nicht. Meine latente Opiateaffinität machte es den Mitbewohnern auch nicht gerade leicht.

Stellt Euch ein kleines Häuschen vor, fast so wie auf Kinderbildern mit einer Tür und einem Fenster im Erdgeschoss, zwei Fenstern im ersten Stock, Rauch, der aus dem Schornstein kringelt und Hasen auf dem Rasen im Garten. Allerliebst, gelle? Der Garten war zwar nur ein schmaler Gang, der Hase ein Kaninchen, und das Häuschen lag mitten in der Stadt, eingekesselt von einer Bäckerei (Vermieter, ich glaube für 150,00 Mark), dem städtischen Krankenhaus und dreistöckigen Zweckwohngebäuden ohne Charme.

Erdgeschoss zwei Wohnräume und Bad. Erster Stock vier Zimmer und eine Küche. Zu fünf jungen Jungen zogen wir ein, zum ersten Mal dem Elternhaus entronnen und extrem geil. Pornos auf dem Klo zur schnellen Erleichterung und Kultcomics von Gilbert Shelton um drei Drogenfreaks. Socken, Unterwäsche, leere Lambruscoflaschen in den Ecken, Küche unbenutzbar, Kühlschrank sowieso leer …

Wir brauchen hier Frauen.

Völlig klar. Sieht man doch.

Moment. Ich habe da Bedenken. Welche Frau möchte schon in eine Männerwohngemeinschaft ziehen, wo hinter jeder Tür ein notgeiler Jungbulle lauert und unter Umständen sogar gelegentlich hervor springt. Wer will schon in diesen Dreckhaufen ziehen, wo sich selbst die Klobürste schämt.

Ja, und stellt Euch die Balzkrämpfe vor, welche hier sofort ausbrechen würden.

Aber wir haben keine Alternative. Ich hänge was an der Uni aus. Auf dem Rückweg lasse ich ein Care-Paket bei Muttern zusammenstellen. Ihr macht hier mal klar Schiff. Lasst Euch einen Müllcontainer kommen. Kauft Haushaltsreiniger, Spülmittel, Salzsäure. Lest ein Organisationsbuch für Hausfrauen.

(Intermezzo: Da saß doch mal einer von uns oben auf der Treppe, blickte verträumt das mehrstufig, überstaubige, völlig versiffte Trottoir hinunter und hielt ein Kehrblech nebst Handfeger bereit. Ich versammelte mich vor dieser Novität und harrte einer Premiere: Jemand fegt die Treppe! Ja, Pustekuchen! Der Typ blickte mich verstört an und murmelte etwas von: „... meinen Ego polieren? Sich altruistisch gebender Egotrip? Habe ich etwa Lob nötig? Will ich meiner Mutter was beweisen? Fällt dann nicht hinterher noch deutlicher auf, wie zugemüllt dieses Haus doch ist. Und außerdem, wenn ich hier saubermache, werden die anderen doch noch unmotivierter selber mal … Wischen und Bohnern gehört ja auch noch zur Treppenhausreinigung. Das ist ein Tagesjob. Da muss ich erst mal die Auswirkung auf das kosmische Gleichgewicht bedenken. Vielleicht haben wir noch Bier.

Ja, das Private war politisch unabsehbar, irgendwie beruhigend legitimierend. Was waren wir doch: Schlunze für eine bessere Welt)


Versteckt die Pornos. Wascht Euch die Füße.

So geschah es. Einschließlich Balzkämpfen. Ich wusste gar nicht, dass ich soo nett sein kann. Wir tapezierten ihr Zimmer im Akkord. Wir tranken begeistert ihren gräßlichen Mu-Tee und würgten uns Tofu mit Gomasio rein. Wir wuschen ab, noch bevor der letzte Teller dreckig war. Wir trugen Brennholz zu ihrem Ofen und logen beim Ausfüllen eines Soziogramms (Das ist so ein Stück Tapete auf dem Küchentisch, auf dem die Namen der Hausbewohner rundum vermerkt sind. Und jeder muss mit einem andersfarbigen Buntstift Striche zu den anderen Teilnehmern ziehen und daneben seine Meinung schreiben).

Keiner traute sich, seine Sie-bezüglichen Gedanken hinzuschreiben.

Sie entschied sich nicht für den Schönsten, oder Reichsten, oder Fleißigsten, sondern für den notorisch Sensibelsten, für Christian. Der saß meistens bekifft auf seinem Matratzenlager und spielte Gitarre zu selbstgeschriebenen Texten:

In meiner Stammkneipe habe ich Dich das erste Mal geseh'n
ich war besoffen oder bekifft und Du warst wunderschön
(Etwas Geschrammel und La-la-la)
Dann haben wir uns'n paar Wochen nicht mehr getroffen
doch wir wussten genau, da ist noch was offen
(Etwas Geschrammel und La-la-la)

Dazu ein Blick, der jeden Cockerspaniel beschämt hätte. Und die fällt doch glatt drauf rein? Entsetzlich! Bier wegsaufen. O.K. Kennen wir. Letzten Knotzen verqualmen. Haben wir uns dran gewöhnt. Etüden im Morgengrauen. Machen uns fast gar nichts aus, wir sind froh, dass er keine Tuba spielt.

Aber. Hier. Die. Einzige. Tante. Abzugreifen. Geht. Zu. Weit.

Das regelte sich aber von selber, als sich, besonders unter den jungen Damen herumsprach, dass wir ein ziemlich netter Haufen sind.

Übrigens haben alle Hausbewohner etwas aus ihrem Leben gemacht. Theaterdirektor in Österreich. Reiseorganisator. Schauspieler. Leitender Sozialarbeiter in der Drogenbekämpfung. Nur ich wurde nichts. Die eine Dame wurde Stepptänzerin, die andere Galeristin. Kindergärtnerinnen gab es jede Menge. Eine überredete mich sogar, die Sozialpädagogische Fachoberschule zu besuchen, - was tut man nicht alles für einen geregelten Hormonhaushalt. Ach-ja, weil das gerade in einem anderen Ordner thematisiert wird: Gedankenlos unbeschwert, weitgehendst unlädierte Seelen. Wir ignorierten die Stürme dieser Welt. Wir dachten, wie wohl jede Generation, wir hätten den Sex erfunden. Es gab die Pille, welche ideologiefrei von den Mädels geschluckt wurde, und es gab kein Aids, höchstens mal Sackratten.

Drogen wurden mit Bedacht konsumiert, ich ging sogar manchmal als Hilfspfleger mit erweiterten Befugnissen arbeiten und rannte dafür angeberisch im Arztkittel herum.

Wir wussten nicht, dass unsere Normalität eine Ausnahme war. Das Häuschen steht immer noch, ist aber bei Google-Earth überpixelt.


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RE: Die Wohngemeinschaft am Ehlentrupper Weg

#2 von Sirius , 04.01.2018 23:00

Sehr kurzweilige Lektüre, Karl-Ludwig. Hat Spaß gemacht, sie zu lesen.

Sirius


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RE: Die Wohngemeinschaft am Ehlentrupper Weg

#3 von Karl Ludwig , 05.01.2018 05:45

Ich wollte einfach mal eine Geschichte schreiben, in welcher ich nur eine Rolle am Rande spiele (Hat nicht ganz geklappt). Mir wurde ja schon unterstellt, bestimmt zu Recht, immer bloß ein einziges Thema zu kennen – nämlich mich.

Auch das mag so sein. Jedenfalls war der chronisch-notorische metasensible Typ auf dem Matratzenlager identisch mit mir. Die Anderen versuchten die Mädchen mit angeberischem Gehabe zu ködern, sprachen über Einsteins Auswirkungen auf die Philosophie, zeigten stolz ihre Bilder und Skulpturen vor, kochten vegetarisch für das Objekt der Begierde, einer studierte Mathe, - ich weiß nicht, ob er die Erotik von Integral rückwärts thematisierte wenn er sie alleine erwischte. Aus den Klamotten labern war der deutlich abgesteckte Kommunikationsrahmen.

Ich guckte meistens bloß sehr geheimnisvoll und sang:

Oh Schwester, lass uns zu mir geh'n,
um in meinem Bett zu liegen.
Du sollst darin nichts Schlimmes seh'n,
sondern mich 'ne Zeit lang lieben.

Oh Schwester, bin ich nicht ein Bruder zu Dir,
schau waffenlos trete ich vor Dich hin.
Ich will Dir nichts Böses, glaube mir
Nur etwas Wärme wär' unser Gewinn.

Ganz klar, für wen sich die moderne Kommunardin entschied, allerdings war sie nicht besonders treu. Ich behaupte mal, keiner von uns war es, obwohl wir Jungs jedenfalls, alle mehr oder weniger offensichtlich, nach DER Frau unseres Lebens suchten, der Wahren, Einzigen, Ewigen, da hatten wir wohl zu viel katholische Romantik verinnerlicht … Es war schon ulkig mit zu erleben, wenn sich jemand am Ziel seiner Träume wähnte und der Staffellauf dann einfach weiter ging. Und das ist bloß ein Metapher und der Stab, der weiter gereicht wurde, kein Phallussymbol.

Als ich einmal auf halber Strecke zur Arbeit umkehrte, weil ich was vergaß, fand ich meine Bettgenossin der letzten Nacht schon in einem anderen Bett vor; einmal versuchten wir sogar Gruppensex, aber dafür waren wir zu verklemmt. Wurde weit vor dem Höhepunkt abgebrochen.

Die Wohngemeinschaft am Ehlentrupper Weg. Ich besorgte mir etwas Tonerde und schuf zwei Köpfe. Einen weiblichen und einen männlichen, beide ohne Haare. Und alle Zwei hatten mein Gesicht, fragt mich bitte nicht, wie ich das hinbekam. Meine Finger wussten es. Ich verschenkte sie als Morgengabe und weiß noch nicht einmal mehr an wen.

Nach der Lektüre der ersten Asterix&Obelix-Hefte klauten wir ein junges Wildschwein aus dem Tierpark und futterten es auf – sehr zum Entsetzen der Einen und Gelächter der Anderen. Schmeckte übrigens im wahrsten Sinn saugut.

Die Wohngemeinschaft am Ehlentrupper Weg. Während einer Razzia schmiss ein befreundeter Polizist kommentarlos einen Knotzen Roten Libanesen aus dem Fenster. Die Razzia galt einem Einbruch in ein Elektrogeschäft, ich konnte allerdings nachweisen, dass alle, ungewöhnlich neue und teure Elektronik, völlig legal aus dem Großhandel meines Großvaters stammte. Da wollte sich wohl ein Nachbar wichtig machen. Für uns war es nur ein lustiges Abenteuer und den Knotzen fanden wir auch wieder.

Christian schenkte einer Mitbewohnerin eine chinesische Nachtigall im selbst geflochtenen Rattankäfig, doch sie wollte keinen Vogel hinter Gittern. Aber Gitarre lernen. Mit Gefühl. Mit mir. Aus dem fünften Shakra heraus. Wir kamen nicht über C-Dur hinaus. Der Piepmatz wurde befreit und fiel vermutlich der Katze zum Opfer.

Die Frau vom Vermieter (Bäcker) brachte mal einen Riesenlaib Brot und ein kleines Fass Butter vorbei. Nie werde ich diesen Anblick auf dem Küchentisch vergessen.

Ich war glücklich und wollte, wie fast alle Menschen, noch glücklicher sein. Ich erkannte mein Glücklich-Sein nicht als solches – es war einfach zu alltäglich.

Ich könnte stundenlang weiter erzählen. Die Mär von einer goldenen Zeit. Als ich jung und dumm war, bzw. stark und mutig, je nach Kontext.


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Karl Ludwig  
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Tja.
Nachtrag zum 01.01.2018

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