Annie Ernaux erzählt eine Autobiografie ohne Ich
Die französische Schriftstellerin Annie Ernaux wagt sich an ein erstaunliches Erzählprojekt. Sie erzählt aus ihrem Leben anhand der Dinge, welche die Zeit prägten.
Beatrice von Matt
Was lässt sich retten von der Zeit, die hinter uns liegt? Diese Frage treibt uns Sterbliche immer wieder um. Gewiss erinnern wir uns an vieles, aber das volle Dasein in der Zeit und die akuten Erfahrungen von Stunde zu Stunde sind niemals wieder herstellbar. Wer gelebtes Leben beschreiben und damit bewahren möchte, ist auf Restbestände angewiesen, die wie Inseln aus dem Vergessen ragen. Daraus versucht man dann wieder ein Ganzes zu machen. Man verknüpft die einzelnen Erinnerungen so, dass ein Prozess entsteht. Aus Krisen und Glückszuständen soll sich ein folgerichtiger Weg ergeben, ein Werdegang, wie man dann sagt.
Ein auffälliger Fall im autobiografischen Schreiben der Gegenwart ist Annie Ernaux' erfolgreiches Buch «Die Jahre». Dabei will die Autorin, wie sie erklärt, alles vermeiden, was an einen Roman erinnert. Dem Leben soll keine «imaginäre Form» aufgezwungen werden. Sie nimmt mit «Les années» Bezug auf Virginia Woolf, insbesondere deren spätes Werk «The Years». Woolf hat heftig beklagt, dass verlebte Zeitatome niemals eine sinnvolle Geschichte bilden können.
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https://www.nzz.ch/feuilleton/eine-autob...-ich-ld.1355351
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