Bahncard 100 gegen die Altersarmut
Die Rente ist knapp, die Wohnung gekündigt - da investiert eine ältere Dame in eine Netzkarte der Bahn. Wie so ein Leben aussehen könnte, hat sich Albrecht Selge in seinem neuen Roman "Fliegen" ausgedacht.
Von Stephan Lohr
Erzählt wird von einer relativ kleinen, inzwischen allein lebenden Frau, im Alter von 65 plus. Ihren Namen erfahren wir nicht, wohl aber einiges über ihre Lebensumstände: Sie war verheiratet, arbeitete zuletzt bei einem Reisebüro und bezieht eine mickrige Rente. So mickrig, dass sie, als ihr die Wohnung gekündigt wird, einstweilen keine bezahlbare neue findet und auch das Angebot einer Freundin, bei ihr unterzuschlüpfen, ausschlägt. Sie erwirbt eine Bahncard 100 und ist nun Tag und Nacht unterwegs: in den Zügen der Deutschen Bahn.
"Fliegen" heißt Albrecht Selges dritter Roman. Für sein famoses Debüt "Wach" erhielt er 2011 den Klaus-Michael Kühne-Preis des Harbourfront- Literaturfestivals in Hamburg. Fünf Jahre später überraschte der 1975 geborene Autor mit dem Buch"Die trunkene Fahrt", dessen gelegentlich auch makabere Heiterkeiten die Lektüre vergnüglich geraten lassen. Dass Selge sich mit Literatur und klassischer Musik auskennt, wissen die Leser seines Blogs Hundert11.net zu schätzen.
Man hat ja schon gelegentlich von diesem Existenzmodell gehört oder gelesen: Dass etwa Studenten per BahnCard 100 die Mietkosten zu umfahren versuchen. Doch Selges namenlose, durchaus sympathische und kommunikative Hauptfigur, "eine gesellige Alleinige", geht die Herausforderung existenziell radikaler und mit vermeintlich nüchterner Rationalität an. Das Zugfahren empfindet sie als "Fliegen" im Gegensatz zur Erdenschwere des Laufens und Wartens auf Bahnsteigen: "Endlich wieder in den Lüften. Ein oder zwei Meter über der Erde, unverbunden".
Weiterlesen:
http://www.spiegel.de/kultur/literatur/f...-a-1253414.html
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