Schnecken wollten sich nichts geben,
lieber leben, richtig leben.

Trennten sich so nicht viel später
für genau zehn Zentimeter.

Dann fand jede sich verlogen,
kam zurück im hohen Bogen.

Wiedersehen,
süßer Schmerz.

Leidensweg glänzt noch
wie Herz.

Peter-T. Schulz

gedichte
sind nicht polizeilich gemeldet
gedichte
gehen niemals zur schule
gedichte
sind nicht militärdienstpflichtig
gedichte
sind nicht an der teuerung schuld
gedichte
haben nicht singen gelernt
gedichte
stören den nachbarn nicht
gedichte
streuen keine bakterien
gedichte
fliegen ohne geräusch
gedichte sind frei
gedichte sind da

Kurt Marti

Was stierst du so in deinen Kaffee?
Was rührst du noch
in Unveränderlichkeiten herum? –
Schütt die aufgewärmte Brühe weg,
die bekommt dir sowieso nicht,
und dann ziehen wir los
und holen uns
die Sterne vom Himmel!
Irgendwo wird doch noch
eine Leiter rumstehn,
und klettern können wir auch –
Auf geht’s!

Gabriele Schnettler

Dass es Teufel
im Grunde gar nicht gibt
hat uns kürzlich
der Leibhaftige selbst verraten
Wir haben dies
betrübt zur Kenntnis genommen
und beschlossen
in Zukunft
uns selbst an die Wand zu malen

Alfred Brendel

kürzlich las ich 1 gedicht

dass jede ankunft auch 1 abschied ist.
naja, „bisschen dünne“, dacht ich mir,
über solchen alten käse
heute 1 gedicht zu schreiben.
fehlt nur noch, dass alles,
abschied, ankunft, einerlei,
ein vorübergehen sei,
ein wandern (in der zeit) ende, anfang,
neubeginn, „alles fließt“, etcetera
& das ganze blablabla –
(draußen stürmts! die bäume
biegen sich im wind!)

Thomas Steiner

Auf dem Schimborasso oben
ist sich Plätzchen freigebloben;
kommt geflogen Mätzechen,
setzt sich auf dem Plätzechen.
Ibberschrift: Das Kondor.

Schöne Mädchen gibt’s in Wien,
schönnen Bummel in Berlin,
läbben lässt sich in Paris,
bloß bei mir zu Haus is mies.
Ibberschrift: Das Heimat.

Duften tut Holunderstrauch,
duften tut das Flidder auch,
aber besser noch als sie
duftet meine Braut Marie.
Ibberschrift: Das Käse.

Alexander Moszkowski

die Vögel zwitschern
das Licht heran
die Nacht zu vedünnen
begrüßen den Morgen vorsichtig
wagt sich die Sonne
über die Häuserdächer
vielleicht wird es heute
anders besser heller
vielleicht geht heute die Welt
nicht unter

Anja Tuckermann

Kafka sprach zu Rudolf Steiner:
"Von euch Jungs versteht mich keiner!"
Darauf sagte Steiner: "Franz,
ich versteh dich voll und ganz!"

Steiner sprach zu Hermann Hesse:
"Nenn mir sieben Alpenpässe!"
Darauf sagte Hesse: "Steiner,
sag mal, reicht denn nicht auch einer?"

Steiner sprach zu Thomas Mann:
"Zieh mal dieses Leibchen an!"
Darauf sagte Mann zu Steiner:
"Hast du's nicht 'ne Nummer kleiner?"

Rilke sprach zu Rudolf Steiner:
"Keiner ist so klein wie meiner!"
Tröstend meinte Steiner: "Rainer,
meiner ist noch etwas kleiner!"

Beckmann sprach zu Rudolf Steiner:
"Wird mein Bild nicht immer feiner?"
Darauf knurrte Steiner: "Beckmann,
wisch den Unfug lieber weg, Mann!"

Robert Gernhardt

Alles beruht auf sich.
ich beruhe auf mir.

Die Stadt geht durch die Straßen spazieren.
Ein Berg steigt zu sich hinauf.
Eine Luftschiffschaukel bleibt im Schwunge stehn und besinnt sich.

Der Fluss spricht: Wohin muss ich fliessen?
Gott spricht: Mutter, ich kann nicht mehr weiter. Es ist so heiß.

Die Chaussee spricht: Ich hab kein Benzin mehr
Ein Abend umhegt die Welt und sagt: Guten Abend.
Männer sprechen im Chor:
Alles beruht auf sich.
Sie lachen.

Ernst Meisler

schon wieder nichts
zu schreiben nur die zeit
die jeder geist benötigt
um sich selbst
zu überlisten als ein
brillenloses ungetüm
mit sprachgenossenschaften
in den einzelnen
bewußtseinslandeplätzen
windungen mit windgeschwindigkeit
das lachen bleibt
im linken nasenflügel stecken
wie ein amputierter engel
der zu keiner bodenständigkeit
bereit sein kann solange
bilder gegen bilder kämpfen


Tom de Toys, den 7.4.1997, im Café Modigliani (Düsseldorf)
(1968-2079)

Ich habe einen Mann
der gut kochen kann
dem näh ich doch keinen Knopf mehr an
Ich war viertausend Jahre unterdrückt
nun bin ich endlich
zu den Unterdrückern aufgerückt

Gisela Steineckert

Wie gut, dass ich verborgen bin
und niemals wieder sichtbar werde.
Mein Kern - im Widerspruch zur Erde -
begab sich selbst zum Monde hin,
jetzt kannst du ruhig schlafen.
Der Ort, wo wir uns trafen,
war niemals wirklich in der Zeit.
Verzeih mir dies - aus Einsamkeit
herausgeschälte - Wissen.
Vielleicht fühlt sich dein Kissen
trotzdem auch manchmal tauig an,
vielleicht verkündet dir der Hahn
vom Hühnerbaum her oft zu grell,
dass jetzt der Morgen wieder hell
gläsern über deinem Dach
heraufsteigt, während du ganz schwach
und übernächtig bist?
Ich bin es nicht, die dich dann quält,
ich bin es, die die Äpfel schält
im Mond und keinen isst.

Christine Lavant

Es gibt mindestens einen Menschen,
Der deine Stimme gerne hört.
Es gibt mindestens einen Menschen,
Der dir gerne in die Augen sieht.
Es gibt mindestens einen Menschen,
Der gerne mit dir essen geht.
Es gibt mindestens einen Menschen,
Der gerne mit dir arbeitet.
Es gibt mindestens einen Menschen,
Der gerne mit dir reist.
Es gibt mindestens einen Menschen,
Der gerne mit dir lacht.
Es gibt mindestens einen Menschen,
Der gerne mit dir weint.

Genügt dir das nicht,
Zu wissen,
Dass du so,
Wie du bist,
Geliebt wirst?

(Vera Simon)

Katharina Lanfranconi

ich singe 
denen, die
schon lange
schlafen

bewache
stille
strassen
ohne licht

ich rufe
wunderlich 
vermummt
die kalten
stunden

und warte
sinnend,
bis die nacht
vom morgen
bricht

Du sagtest du willst es
doch du sagtest es nicht zu mir
zu mir sagtest du
du hättest es zu ihm gesagt
aber eigentlich nicht so gemeint
jedenfalls hättest du dabei nur an mich gedacht
ganz genau wüßtest du das nicht mehr

Ich weiß jetzt auch nichts mehr
außer dass du an mich gedacht hast
als du zu ihm sagtest
dass du es willst
Wenn ich dich nun frage
willst du es also mit mir
dann sagst du du wüßtest es nicht
und überhaupt sollt ich nicht so viel fragen

Jörg Neugebauer
Aus: Die langen Ruder