Victor Blüthgen
Das Schaukellied
Flieg über, flieg 'rüber – was hängt an dem Ast?
Das ist unsre Schaukel, die findet nicht Rast,
Die ständ' gern so stille wie ich und wie du,
Sucht oben, sucht unten und kommt nicht dazu.
Lieb Hänschen, lieb Hannchen, nun haltet euch nur!
Das geht wie der Pendel in Großmamas Uhr.
Lieb Hänschen, lieb Hannchen, ich wieg euch so gut
Mit Eia popeia, wie Mutter das tut.
Guten Abend, lieb Hänschen, – lieb Hannchen, gut' Nacht.
Da – hat sie die Schaukel schon wiedergebracht.
Ihr wiegt hundert Pfund, und ihr seid mir zu schwer:
Noch zweimal, noch einmal – nun schaukl' ich nicht mehr.
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Clemens Brentano
Singet leise, leise, leise ...
auch unter den Titeln: „Lureley“ und „Wiegenlied“
Singet leise, leise, leise,
Singt ein flüsternd Wiegenlied,
Von dem Monde lernt die Weise,
Der so still am Himmel zieht.
Denn es schlummern in dem Rheine
Jetzt die lieben Kindlein klein,
Ameleya wacht alleine
Weinend in dem Mondenschein.
Singt ein Lied so süß gelinde,
Wie die Quellen auf den Kieseln,
Wie die Bienen um die Linde
Summen, murmeln, flüstern, rieseln.
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Ernster Rat an Kinder
Wo man hobelt, fallen Späne.
Leichen schwimmen in der Seine.
An den Unterleib der Kähne
Sammelt sich ein zäher Dreck.
An den Strähnen von den Mähnen,
von den Löwen und Hyänen
kümmert sich viel Ungeziefer.
Im Gefieder von den Hähnen
nisten Läuse, auch bei Schwänen.
Menschen gar nicht zu erwähnen,
denn bei ihnen geht’s viel tiefer.
Nicht umsonst gibt’s Quarantäne.
Allen graust es, wenn ich gähne.
Ewig rein bleibt nur die Träne
und das Wasser der Fontäne.
Kinder, putzt euch eure Zähne!
Joachim Ringelnatz
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Richard Dehmel
Vitzlibutzli
Lieber ßöner Hampelmann,
deine Detta sieht dich an!
Ich bin dhoß, und Du bist tlein;
willst du Fitzebutze sein?
Tomm!
Tomm auf Haterns dhoßen Tuhl,
Vitzlibutzki, Blitzepul!
Hater sagt, man weiß es nicht,
wie man deinen Namen sp'icht.
Pst!
Pst, sagt Hater, Fitzebott
war eimal ein lieber Dott,
der auf einem Tuhle saß
und sebratne Menßen aß.
Huh!
Huh, sei dut, ich bin so tlein
und will immer a'tig sein.
Fitzebutze, du bist dhoß
kleine Detta spaßt ja bloß.
Ja?
Ja, ich bin dir wirktlich dut!
Willst du einen neuen Hut?
Tlinglingling: wer b'ingt das Band?
Königin aus Mohrenland!
Tnicks!
Tnix, ich bin F'au Tönidin,
hab zvei Lippen von Zutterrosin;
Fitzebutze, sieh mal an,
ei, wie Detta tanzen kann!
Hoppß!
Hopßa, hopßa, hopßassa;
Tönigin von Af'ika!
Flitzeputzig, Butzebein,
wann soll unse Hochzeit sein?
Du!
Du! Mein tleiner lieber Dott!
Du?! sonst geh ich von dir fo't! –
Ach, du dummer Hampelmann,
siehst ja Detta garnicht an!
Marsch! –
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Wolfgang Mennel
Besuch bei dir
1,2,3,4, Pinguin
du wohnst dort
ich geh hin.
5,6,7, Apfelsaft
so, das wäre
jetzt geschafft.
8,9,10, Karottenschleim
keiner da -
muss wieder heim.
11,12,13, Nasentropfen
oder soll ich
dreimal klopfen?
1,2,3 Tatüütattaaa
du machst auf!
Und ich bin da!
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Juni
Es kommt eine Zeit,
da sind Fische blau.
Die blauen Fische kommen
die kleinen und großen
Bäche hinab.
Sie fahren durch Flüsse
und Seen.
Sie wollen alle ins Meer.
Wenn wir ganz schnell laufen,
zum Bach,
zum Fluss,
zum See,
kommt ein blauer Fisch daher.
Wir fragen ihn:
Wohin willst du, Fisch?
Und er antwortet nicht.
Wir fragen den Fisch:
Bist du stumm?
Und der Fisch sagt:
Ja, ich bin stumm.
Und er ist fort.
Elisabeth Borchers
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Der kanke Laubfrosch
Der Laubfrosch hockt so matt
Dort unter dem Spitzwegerich.
Der Laubfrosch ist bettlägerig,
Weil er die Grippe hat.
Es spricht der Doktor Pilz:
Du bleibst auf jeden Fall bei Tee.
Am besten ist der Salbeitee,
Vielleicht liegts an der Milz.
Des Abends kommen sacht
Die Kröten von der Sippe an
Und sehn sich seine Grippe an
Und quarken in die Nacht.
Ein Laubfrosch quakt nicht mehr.
Er quäkt. Das macht:
Die Zunge ist belegt.
Peter Hacks
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Wenn ich einmal groß bin
Wenn ich einmal groß bin
werd ich mich heiraten und
dann wird nichts mehr weh tun
weil ich aber klein bin und
und noch ein wenig kniefrei sein will
hab ich mich gleich nicht mehr gern
ich will aber bestimmt mich
gleich heiraten wenn ich groß
gewesen bin und lieb gehabt hab
und mich bestimmt nicht fürchten
auch wenn ich kniefrei bin
und es nur ein wenig weh tut
denn dann bin ich ja bald so groß
und fast ganz ohne knie und
geh auch nur ein wenig heiraten
Oskar Pastior
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Für ein Kind
Ich habe gebetet. So nimm von der Sonne und geh.
Die Bäume werden belaubt sein.
Ich habe den Blüten gesagt, sie mögen sich schmücken.
Kommst du zum Strom, da wartet ein Fährmann.
Zur Nacht läutet sein Herz über Wasser.
Sein Boot hat goldenen Planken, das trägt dich.
Die Ufer werden bewohnt sein.
Ich habe den Menschen gesagt, sie mögen dich lieben.
Es wird dir einer begegnen, der hat mich gehört.
Günter Bruno Fuchs
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Bitten der Kinder
Die Häuser sollen nicht brennen.
Bomber sollt man nicht kennen.
Die Nacht soll für den Schlaf sein.
Leben soll keine Straf sein.
Die Mütter sollen nicht weinen.
Keiner sollt müssen töten einen.
Alle sollen was bauen.
Da kann man allen trauen.
Die Jungen sollens erreichen.
Die Alten desgleichen.
Bertold Brecht
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Meine Mutter
Irren ist menschlich, sagt meine Mutter.
Meine Mutter irrt schon
seit langer Zeit und sehr oft.
Darum ist sie besonders menschlich.
Viel menschlicher als ich,
da ich durch meine kurze Lebenszeit
noch nicht so viel Gelegenheit
zum Irren hatte.
Christine Nöstlinger
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Bangemachen gilt
Fall nicht, Kind, du tust dir weh.
Ich guck auch, wohin ich geh.
Steck dein Spielzeug nicht in Brand,
reiche nicht zuerst die Hand.
Denk daran, wie ungesund
Reden ist mit vollem Mund.
Komm mir nie zu spät nach Haus,
such dir bessren Umgang aus.
Lass das Pflaster auf dem Knie,
Fahrradfahren lernst du nie.
Nein, die Zöpfe bleiben dran,
später ärgerst du dich dann.
Mach ein freundliches Gesicht,
dass das schwer ist, glaub ich nicht.
Spring nicht auf der Leiter rum,
sitz dir nicht das Rückgrat krumm.
Was so rot ist, das ist Wein,
sicher war ich auch mal klein.
Male nicht dein Schulheft voll,
was aus dir mal werden soll?
Miriam Francis
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Elisabeth Borchers
September
Es kommt eine Zeit,
da hat die Sonne
alle Arbeit getan.
Die Äpfel sind rot,
die Birnen sind gelb,
und die Marktfrauen rufen:
Pflaumen, schöne Pflaumen.
Es kommt eine Zeit,
da wird die Sonne müde
und immer kleiner.
So klein wie eine Orange,
die nach Afrika zurückrollt,
wie ein Taler,
der von einer Hand zur andern
wandert,
wie der Knopf
vom Matrosenkleid.
So klein wird die Sonne
dass der Himmel sie nicht mehr halten
kann.
Sie rollt übers Dach,
rollt hinterm Berg,
jetzt kann sie keiner mehr sehen.
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Christine Nöstlinger
Mein Gegenteil
Ich bin mir sicher,
es gibt einen,
Der ist mein Gegenteil.
Der lacht,
wenn ich weine,
der ist satt,
wennich Hunger habe.
Der wird gestreichelt,
wenn ich geschlagen werde,
und ist gesund,
wenn ich krank bin.
Der hat alles,
was ich mir wünsche
und nie bekommen werde.
Der hat keine Angst,
wenn ich mich fürchte,
und einen Freund bei sich,
wenn ich alleine bin.
Wenn der aber mein Gegenteil ist,
dann müsste er eigentlich tot sein,
wenn ich lebe?
Also gibt es ihn doch nicht.
Oder bin ich tot?
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