Der fremde Mann

Jeden Abend kommt ein fremder Mann,
Mutter streicht sich in der Küche an,
macht geschwind im Speisezimmer Licht,
kennt und hört nur ihn und sieht mich nicht.

Braten, den es längst zu Mittag nie
gibt, kommt auf den Tisch, und Sellerie,
und der Mann nimmt stets das größte Stück,
Mutter legt das ihre oft zurück.

Seine Schnurrbartspitzen starrn vor Mark,
manchmal kommt Gelächter aus dem Park,
Mutter stockt und zieht die Stirne kraus,
doch er schnalzt und schielt und winkt hinaus.

Mutter gießt die Herzchen auf dem Brett
dann und vor der Zeit muss ich ins Bett,
dumpf ists im Verschlag, der Strohsack hart,
und ich hör es, wenn es drüben knarrt.

Gegen Mitternacht geht sacht die Tür.
Früh bleibt Mutter über die Gebühr
in den Federn, unsre Milch brennt an.
Meine Sahne trinkt der fremde Mann.

Theodor Kramer

Mein Kind

Ich möchte rascheln gehen
für dich im Herbsteslaub,
doch geht das nicht, mein Kind,
denn du bist taub.

Ich möchte malen gehen
mit dir .. und schau´n, wo Farben sind,
doch geht das nicht, mein Schatz,
denn du bist blind.

Ich möchte singen gehen
im Chor mit dir .und auch im Kreis herum,
doch geht das nicht, mein Kind,
denn du bist stumm.

Doch kann ich lieben gehen
mit dir, mein Kind,
und tasten, fühlen, spüren,
wo die Winde sind.

Kann jauchzen, hüpfen,
mit dir springen,
und mich erfreun an dir
an tausend andren Dingen!

Kann Regenwürmer zähmen,
mit dir im Garten jäten,
und abends, wenn du müde bist,
an deinem Bettchen beten.

Möchte allen Göttern danken
für dein kleines Leben
und dafür, dass sie DICH
der Welt gegeben.

Gila Hartmann

Oktober

Es kommt eine Zeit,
da fragen wir uns:
Was soll denn nun werden?

Die Luft schmeckt so
bitter.

Die Vögel sind
über alle Berge.

Der Nebel macht
die Häuser bleich.

Die kleinen Tiere gehen
unter der Erde spazieren.

Aufs Dach trommeln
Kastanien.

Wir müssen ins Haus zurück,
da hält uns der Regen gefangen.

Elisabeth Borchers

Was ist denn bloß heut los?

Der Bäcker backt Brezeln
so groß wie dein Haus!
Der Metzger stopft Würste
mit Watte heut aus!

Dein Ball hat vier Ecken!
Dort radelt ein Hund!
Die Autos fahren rückwärts
schon seit einer Stund!

Und dort auf dem Baum
sitzt ein Karpfen im Nest
und hält mit dem Maul
Nachbars Jockele fest.

Die Sonne scheint grün,
und der Mond liegt im See,
es singen die Sterne,
es schneit schwarzen Schnee!

Die Uhr schlägt grad dreizehn
und steht trotzdem still!
Was ist denn bloß los heut ??
Na, der 1. April!

Christel Süßmann

Alle meine Freunde

Arndt Achduschreck
Bert Bleibmirweg
Dirk Drehdichum
Ernst Ehnichtgern
Franz Fliegnachhaus
Gerd Glotznichtblöd
Horst Haubloßab
Jörg Jucktmichnicht
Kai Kucknichtso
Lars Lupfdenhut
Mike Maulnichtrum
Nick Nienichtnein
Paul Plumpsinsklo

Quick Quatschnichtso
Rick Rausmitdir
Sepp Schleichdichfort
Tim Tunichtso
Ulf Ulknichtrum
Veit Vollderdepp
Wolf Waswillstdu
Zipp Zudietür

Ich Ichbintoll
Vier Freunde such ich noch
im Internet

Uwe-Michael Gutzschhahn / Erhard Dietl

An Anna

Solange du klein bist
hast du deinen Mund oder
deine Augen
von der Mutter.
Deine Nase „ist ganz der Papa“.
Erst später,
wenn irgend jemanden deine Nase
nicht mehr passt,
gehört sie plötzlich dir.

Peter Göhring

Ein kleines Axolotl

Ein kleines Axolotl aß
Mücken für sein Leben gern.
Wenn die Familie Fische fraß,
blieb es meist dem Essen fern.

Es machte auf dem Seengrund
lieber mit den Freunden Krach.
Verlors ein Beinchen hieß es: Und?
Beine wachsen wieder nach.

scrabblix

Du treibst dich ja überall rum, Lotte.
Danke für dieses kleine Schmankerl!

Sirius

Aller Anfang

Linker Fuß die rote Socke
rechter Fuß die blaue Socke
oder umgekehrt?

Linker Fuß die Wintersocke
rechter Fuß die Sommersocke
oder andersrum?

Linker Fuß die Schlafwollsocke
rechter Fuß ganz ohne Socke
oder noch mal neu?

Linker Fuß die blaue Socke
rechter Fuß die rote Socke
oder umgekehrt?

Uwe-Michael Gutzschhahn

An Berliner Kinder

Was meint ihr wohl, was eure Eltern treiben,
Wenn ihr schlafen gehen müsst?
Und sie angeblich noch Briefe schreiben.

Ich kann euch sagen: Da wird geküsst,
Geraucht, getanzt, gesoffen gefressen,
Da schleichen verdächtige Gäste herbei.
Da wird jede Stufe der Unzucht durchmessen
Bis zur Papagei-Sodomiterei.
Da wird hasardiert um unschlagbare Summen.
Da dampft es von Opium und Kokain.
Da wird gepaart, dass die Schädel brummen.
Ach schweigen wir lieber – Pfui Spinne, Berlin!

Joachim Ringelnatz

Eine wahre Geschichte

Heute kam ein Mann zu mir,
wollte ein Pfund Wurstpapier.

Als ich fragte: Und was noch,
bat er mich auch um ein Loch.

Fragte ich: Was soll das werden?
Sagte er: Ich gebs den Pferden.

Und die werden davon satt?
Meinte er: Ja, ja, so grad.

Brauchen Sie noch eine Tüte?
Aber ja, du meine Güte!

Wenn ich morgen wiederkomm,
nehme ich die Kilogromm.

Und wovon denn bitte sehr?
Mir egal, Hauptsache schwer.

Doch erzählen Sies nicht weiter,
denn ich bin hier nur der Reiter.

Sagte ich: Ach so, na klar,
die Geschichte ist wohl wahr?

Erhardt Dietl

Gruß an die Kinder.
     
Ich möcht euch alle miteinander
    auf bunten Wiesen sehn,
bei Klarinetten und Geigen
    die Füßchen im Tanze drehn.

Ich möcht euch alle miteinander
    mitnehmen im Luftschiffkahn,
euch die schöne Erde zeigen,
    und was fleißige Menschen getan.

Ich möcht euch alle miteinander
    still führen an der Hand,
euch heimliche Dinge sagen
    von Gott und dem Sternenland.

Paula Dehmel

Schularbeiten

Der Fortschritt
hat keene Lust, sich
zu kümmern um
mir. Und was mir anjeht, habick
keine Lust, mir
um den Fortschritt
zu kümmern. Denn
unsereins
war ja
als Mensch
wohl zuerst da.
So, liebes Kind, das
schreibste
in dein Schulheft
rein.

Günter Bruno Fuchs

Der erste Schultag

Die Mädchen trugen bunte Schleifen.
Die Jungen Lässigkeit zur Schau.
Den Ernst des Lebens zu begreifen,
standen wir vor dem Klinkerbau.

Auf ungebeugten Kinderrücken
fanden Tornister mäßig Halt.
Ein Bubikopf schien auszudrücken,
für Zöpfe bin ich längst zu alt.

Ein Schwämmchen baumelte verwegen
an einer langen roten Schnur,
und man verglich bei Kirchturmschlägen
die echte mit der Spielzeuguhr.

In von der zeit zensierten Bänken,
da las man: Hildegard is doof!
Und ließ die Blicke sich verrenken
nach einem Ballspiel auf dem Hof.

Die weißgetünchten Klassenwände
standen wie blasse Schimmer da.
Der erste Schultag ging zu Ende
ohne das langersehnte A.

Miriam Francis

Beim Anblick eines Neugeborenen

Da liegst du nun in deinen blütenzarten Daunen,
ein kleines Etwas zwischen Rhesusäffchen und Mandrill,
mit kugelrunden Augen, himmelblau vor Staunen,
und einem Mäulchen, welches sprachlos Laute lallen will.

Die Säuglingsschwester lächelt leise, und wir Väter,
vom jungen Glück erhitzt und leicht verlegen offenbar,
erkennen meistens erst nachher und sehr viel später,
wie hübsch die junge Dame mit dem weißen Häubchen war.

Du aber, seelisch stubenrein und ohne Makel
und mit der Außenwelt durch eine Glaswand streng getrennt,
bist stets ein rührendes und rosiges Mirakel,
das das von uns schon längst verlorne Paradies noch kennt.

Die Konfrontation der Unschuld mit der Sünde
beschämt uns oft, und das hat seine guten Gründe.

Fridolin Tschudi