Spinat

Spinat, du grüner Kinderschreck -
Bleib du mir nur gestohlen!
Du bist dran schuld, dass mir nur schmeckt,
Was ärztlich nicht empfohlen.
Spinat ist reine Medizin!
Drum bin ich dem Spinat nicht grün.

Mascha Kaleko

Das Klassenbild

Leicht vergilbt und halb verbogen
und auf Karton aufgezogen,
blicken wir im Querformat
auf dem Bild mit kurzer Hose
und betonter Schülerpose
in den Fotoapparat.

Knips – und schon war es geschehen:
Auf der Schulhaustreppe stehen
Knaben vor dem Hauptportal,
und die Mädchen tragen Zöpfe..
Doch inzwischen sind die Köpfe
grau geworden oder kahl.

Mädchenzopf und Schülerkragen
sind verschwunden, und wir fragen
uns, wieso es möglich sei,
dass sich erst nach vielen Jahren
zeigt, wie schrecklich jung wir waren..
Blick nur auf das Konterfei!

Fridolin Tschudi

Ins Kinder-Tagebuch

Schreib in dies Buch, so viel du magst,
Was du dir denkst und keinem sagst!
Wenns Ärger gibt in Schul und Haus:
Dann schreib ins Buch und schimpf dich aus.

Schreib was dich stiert und was dich drückt,
Und manchmal auch, was dich beglückt.

Doch wenn du kannst, dann schwindle nicht!
Schreib so, wies heimlich in dir spricht!
Denk: Wahrheit ist kein Affe!
Sie ist des Herzens Waffe!

Carl Zuckmayer

Lied für Frank

Siehst du, Kind, die Welt um dich?
Halt die Augen offen.
Scher dich einen Dreck um mich,
Denn ich bin besoffen.

Ach, mein Kind, was regt sich dort?
Ists ein Blatt, ein Schatten?
Blatt und Schatten flogen fort.
Vielleicht sinds die Ratten.

Siehst du, Kind, den tiefen Schacht?
Der ist für die Tage.
Uns bleibt eine lange Nacht
Ohne Lot und Waage.

Siehst du, Kind, die Welt um dich?
Halt die Augen offen.
Scher dich einen Dreck um mich,
Denn ich bin besoffen.

Rolf Bossert

Der Mann im Mond

Der Mann im Mond hängt bunte Träume,
Die seine Mondfrau spinnt aus Licht,
Allnächtlich in die Abendbäume,
Mit einem Lächeln im Gesicht.

Da gibt es gelbe, rote, grüne
Und Träume ganz in Himmelblau.
Mit Gold durchwirkte, zarte, kühne
Für Bub und Mädel, Mann und Frau.

Auch Träume, die auf Reisen führen
In Fernen, abenteuerlich.
- Da hängen sie in Silberschnüren!
Und einer davon ist für dich.

Mascha Kaleko

All die schwarzen Nächte

Schlaf neben mir,
sonst tut der Mond mir weh.
Wenn ich die schwarzen Schatten seh,
lass ich die Angst bei dir.

Halt mir die kleinen Hände.
Sie schmerzen von des Vaters Stock.
Ich zerr voll Angst an deinem Rock,
damit der Schmerz zu Ende.

Sieh mir die Tränen nach.
Ich seh die blauen Flecken.
Wir müssen uns verstecken,
kein Gott bleibt mit uns wach.

Sirius

Hier hast du also deine traurigen Zeilen versteckt, Sirius.

Worte, die für mich kaum zu ertragen sind, wenngleich ich weiß, dass für Unzählige die Realität so aussieht und aussah. Weder Dichters Kind noch jedes andere Kind sollte je solche Worte sagen müssen.

Berührte Lottegrüße in deine Nacht

Ich danke dir sehr für deinen verständnisvollen Kommentar, Lotte!

Sirius

Verkehrte Welt

Auf einer roten Wiese
tanzt ein gelbes Schwein
mit einem blauen Ochsen
den Walzer hinkebein.

Die Ziege, sie ist rosa,
pfeift den Takt dazu.
Fünf weiße Raben wiehern:
Nanu? Nanu? Nanu?

Der Karpfen reitet auf der Gans.
Der Igel bläst Posaune.
Der Hecht schaut aus dem Mauseloch
und grunzt vor guter Laune.

Der Mond glänzt lila, und am Himmel
fliegt ein rabenschwarzer Schimmel
im Kreis herum und bellt:
Heut ist verkehrt die Welt!

Wer´s glaubt, schaut zu wie ich und du.
Wer´s nicht glaubt, macht die Augen zu.

Boy Lornsen

Kinderlied

Kommt seht, da hab ich
ein Pferdchen gezeichnet,
es ist so schön blau,
wie ich Pferde lieb,
und weil ich mag,
dass Pferde auch singen,
ist sein Kopf
eine blaue Nachtigall.

Mein Pferdchen braucht
weder Wagen noch Schlitten,
es trägt einen Buckel,
der ist ein Haus
und wer mich bittet,
dem zeichne ich gern
mit blauem Stift
seine Wünsche hinein.

Jetzt kommt, wir reiten
ins Blaue mit ihm,
bis zum Ozean und
natürlich zurück -
die Reise beginnt, ich
pinsle ja schon
den fernen Ozean her.

Franz Hadjak

Geburtstagsgruß

Ach, wie schön, dass du geboren bist!
Gratuliere uns, dass wir dich haben,
Dass wir deines Herzens gute Gaben
Oft genießen dürfen ohne List.

Deine Mängel, deine Fehler sind
Gegen das gewogen harmlos klein.
Heut nach vierzig Jahren wirst du sein:
Immer noch ein Geburtstagskind.

Möchtest du: nie lange traurig oder krank
Sein. Und: wenig Häßliches erfahren.
Deinen Eltern sagen wir unseren fröhlichen Dank
Dafür, dass sie dich gebaren.

Gott bewirke dir
All deine Schritte;
Ja, das wünschen wir,
Deine Freunde und darunter (bitte)
Dein

Joachim Ringelnatz

Zufall

Wenn statt mir jemand anderer
auf die Welt gekommen wär,
Vielleicht meine Schwester
oder mein Bruder
oder irgendein fremdes blödes Luder -
wie wär die Welt dann,
ohne mich?
Und wo wäre denn dann ich?
Und würd mich irgendwer vermissen?
Es tät ja keiner von mir wissen.
Statt mir wäre hier ein ganz anderes Kind,
würde bei meinen Eltern leben
und hätte mein ganzes Spielzeug im Spind.
Ja, sie hätten ihm sogar
meinen Namen gegeben!

Martin Auer

Etwas über Engel

Engel sind schmal und wiegen fast nichts.
Auf einer Zeile dieses Gedichts
könnten eine Million netter Engel singen,
dazu noch tanzen und hüpfen und springen.

Auf einen einzigen Löwenzahnstängel
sitzen oft tausende niedlicher Engel
und hunderte auf einen Rosendorn,
da, wo er spitz ist, ziemlich weit vorn.

Auf einem Butterblumenblütenblatt
finden Olympische Spiele statt:
Ein Atom fliegt als Fußball hin und her.
Nie gibt es ein Foul! Engel sind fair.

Alljährlich um die Weihnachtszeit
kommen die Engel von hoch und weit
Auf Schneeflocken reisen Engel vom Himmel.
Das ist im Winter oft ein Gewimmel.

Auf so einer Flocke hocken stets mehr
Engel, als Menschen im Fünfuhrverkehr
sich in irdischen Autobussen drängeln.
Doch nie entsteht ein Streit unter Engeln.

Engel können ganz ohne Klagen
mit Engelsgeduld Mengen Enge ertragen.
Das lässt sich an ihrem Namen erkennen.
Andernfalls müsste man sie Weitel nennen.

Karlhans Frank

Im Park

Ein ganz kleines Reh stand am ganz kleinen Baum
Still und verklärt wie ein Traum.
Das war des Nachts elf Uhr zwei.
Und dann kam ich um vier
Morgens wieder vorbei.
Und da träumte noch immer das Tier.
Nun schlich ich mich leise – ich atmete kaum -
Gegen den Wind an den Baum,
Und gab dem Reh einen ganz kleinen Stips.
Und da war es aus Gips.

Joachim Ringelnatz

Wettstreit

Der Kuckuck und der Esel,
Die hatten großen Streit,
Wer wohl am besten sänge
Zur schönen Maienzeit.

Der Kuckuck sprach“das kann ich!“
Und hob gleich an zu schrei´n.
„Ich aber kann es besser!“
Fiel gleich der Esel ein.

Das klang so schön und lieblich,
So schön von fern und nah:
Sie sangen alle beide:
Kuku kuku ia!

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben