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RE: Dichters Kind

#136 von Sirius , 12.11.2018 19:04

Erziehung

Mein Kind,
sagte die Mutter und hob den Finger
merke gut, was ich Dir sag,
werde ein Mensch, wie ich es vorleb,
werde so wie ich es mag.

NEIN,
sagst Du und bist geboren
nein, ich bin so wie ich bin,
kann nicht sein, was Ihr nicht schafftet,
muß das tun, was mir geziemt.

Menschenkind, das ist das Leben,
ganz vertraut nur mit Dir selbst,
Deine Stärke, Deine Schwäche,

Macht uns Mut.

Ursula Pahnke-Felder


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Sirius
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RE: Dichters Kind

#137 von Sirius , 14.11.2018 19:58

Wiegenlied

Singet leise, leise, leise,
Singt ein flüsternd Wiegenlied,
Von dem Monde lernt die Weise,
Der so still am Himmel zieht!

Singt ein Lied so süß gelinde,
Wie die Quellen auf den Kieseln,
Wie die Bienen um die Linde
Summen, murmeln, flüstern, rieseln!

Clemens Brentano


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RE: Dichters Kind

#138 von Sirius , 19.11.2018 20:21

Peter Hille

Kind

Süßer Schwindel schlägt hinüber,
Heiße Blicke gehen über,
Und ein neues Leben rinnt.
Unserer Liebe starke Wonnen
Sammelt ein als starke Sonnen
In die Himmel seiner Augen
Unser Kind.


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RE: Dichters Kind

#139 von Sirius , 21.11.2018 19:55

DAZIBAZI

Ach Gottchen,
geht's wieder zurück, ja?
Und jetzt
wieder hingewackelt
zur Mami puzi dazibazi?
Hin und zurück
wieder und wieder!
Das scheint mir hier
das Schlüsselwort zu sein.
Ich krieg 'nen Drehwurm,
aber das interessiert nicht.
»Sprechen kann's auch schon«
sagt Mama.
Mama sagt:
»Sag Mama!«
Ich schau blöd.
Ich hab keine Lust.
Ich steig früh in die Trotzphase ein.
»M a m a« buchstabiert's nervös
und will auch,
dass ich »P a p a« sag.
Ich mache den Gästen
ein müdes Gesicht
und antworte:
»Wieder und wieder!«

Judith Ludwig
Aus: Ein Teddy aus alten Tagen


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RE: Dichters Kind

#140 von Sirius , 23.11.2018 19:55

Ferdinand von Saar (1833-1906)

Kindesthränen

Willst du die Leiden dieser Erde,
Der Menschheit Jammer ganz versteh'n,
Mußt du mit scheuer Gramgeberde,
Ein Kind im Stillen weinen seh'n;
Ein Kind, das eben fortgewichen
Aus fröhlicher Gespielen Kreis
Und nun, vom ersten Schmerz beschlichen,
In Thränen ausbricht, stumm und heiß.
Du weißt nicht, was das kleine Wesen
So rauh und plötzlich angefaßt -
Doch ist's in seinem Blick zu lesen,
Wie es schon fühlt des Daseins Last.
Wie es sich bang und immer bänger
Zurück schon in sein Inn'res zieht,
Weil es Bedränger auf Bedränger
Mit leisem Schaudern kommen sieht.
Willst du die Leiden dieser Erde,
Der Menschheit Jammer ganz versteh'n:
Mußt du mit scheuer Gramgeberde
Ein Kind im Stillen weinen seh'n.


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RE: Dichters Kind

#141 von Sirius , 26.11.2018 20:05

Eine kleine Schwester

Ein nagelneues Schwesterlein
Kam heute über Nacht.
Das weint und greint.
Und Mutter meint:
Sie lernt noch, wie man lacht,
´s halt noch dumm,
Das Kleine. Drum
Schreit es:“ U-aa, u-aaa!“
Hab keine Angst, du Klitzeklein!
Ich will dein großer Bruder sein.
Mein klitzekleines Schwesterlein,
Ich bin ja auch noch da!

Mascha Kaleko


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RE: Dichters Kind

#142 von Sirius , 04.12.2018 19:38

Ferdinand von Saar (1833-1906)

Kindesthränen


Willst du die Leiden dieser Erde,
Der Menschheit Jammer ganz versteh'n,
Mußt du mit scheuer Gramgeberde,
Ein Kind im Stillen weinen seh'n;

Ein Kind, das eben fortgewichen
Aus fröhlicher Gespielen Kreis
Und nun, vom ersten Schmerz beschlichen,
In Thränen ausbricht, stumm und heiß.

Du weißt nicht, was das kleine Wesen
So rauh und plötzlich angefaßt -
Doch ist's in seinem Blick zu lesen,
Wie es schon fühlt des Daseins Last.

Wie es sich bang und immer bänger
Zurück schon in sein Inn'res zieht,
Weil es Bedränger auf Bedränger
Mit leisem Schaudern kommen sieht.

Willst du die Leiden dieser Erde,
Der Menschheit Jammer ganz versteh'n:
Mußt du mit scheuer Gramgeberde
Ein Kind im Stillen weinen seh'n.


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RE: Dichters Kind

#143 von Sirius , 05.12.2018 19:28

An mein Kind

Dir will ich meines Liebsten Augen geben
Und seiner Seele Flammen reines Glühn.
Ein Träumer wirst du sein und dennoch kühn
Verschloßne Tore aus den Angeln heben.

Wirst ausziehen, das gelobte Glück zu schmieden.
Dein Weg sei frei. Denn aller Weisheit Schluß
Bleibt doch zuletzt, daß jedermann hienieden
All seine Fehler selbst begehen muß.

Ich kann vor keinem Abgrund dich bewahren,
Hoch in die Wolken hängte Gott den Kranz.
Nur eines nimm von dem, was ich erfahren:
Wer du auch seist, nur eines – sei es ganz!

Du bist, vergiß es nicht, von jenem Baume,
Der ewig zweigte und nie Wurzel schlug.
Der Freiheit Fackel leuchtet uns im Traume,
Bewahr den Tropfen Öl im alten Krug.

Mascha Kaleko


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RE: Dichters Kind

#144 von Sirius , 15.12.2018 19:39

Ach wer das doch könnte

Blüthgen, Viktor

Gemäht sind die Felder,
Der Stoppelwind weht.
Hoch droben in Lüften
Mein Drache nun steht,
Die Rippen von Holze,
Der Leib von Papier,
Zwei Ohren, ein Schwänzlein
Sind all seine Zier.
Und ich denk: so drauf liegen
Im sonnigen Strahl,
Ach, wer das doch könnte
Nur ein einziges Mal!

Da guckt ich dem Storch
In das Sommernest dort:
Guten Morgen, Frau Störchin,
Geht die Reise bald fort?
Ich blickt in die Häuser
Zum Schornstein hinein:
O Vater und Mutter,
Wie seid ihr so klein.
Tief unter mir säh ich
Fluss, Hügel und Tal,
Ach, wer das doch könnte,
Nur ein einziges Mal!

Und droben, gehoben
Auf schwindelnder Bahn,
Da fasst ich die Wolken,
Die segelnden an;
Ich ließ mich besuchen
Von Schwalben und Krähn
Und könnte die Lerchen,
Die singenden sehn;
Die Englein belauscht ich
Im himmlischen Saal;
Ach, wer das doch könnte,
Nur ein einziges Mal!


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RE: Dichters Kind

#145 von Sirius , 18.12.2018 20:02

Kurt Tucholsky (1890-1935)

An das Baby

Alle stehn um dich herum:
Fotograf und Mutti
und ein Kasten, schwarz und stumm,
Felix, Tante Putti...
Sie wackeln mit dem Schlüsselbund,
fröhlich quietscht ein Gummihund.
"Baby, lach mal!" ruft Mama.
"Guck", ruft Tante, "eiala!"
Aber du, mein kleiner Mann,
siehst dir die Gesellschaft an...
Na, und dann - was meinste?
Weinste.
Später stehn um dich herum
Vaterland und Fahnen;
Kirche, Ministerium,
Welsche und Germanen.
Jeder stiert nur unverwandt
auf das eigne kleine Land.
Jeder kräht auf seinem Mist,
weiß genau, was Wahrheit ist.
Aber du, mein guter Mann,
siehst dir die Gesellschaft an...
Na, und dann - was machste?
Lachste.


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RE: Dichters Kind

#146 von Sirius , 27.12.2018 20:26

Schmeckt

Haferflocken
Zucker
Wasser
und dazu Kakao

umgerührt
in einer Tasse
schmeckt wie
Gelb und Blau

schmeckt nach Trösten
schmeckt nach Streicheln
schmeckt nach Mamas Sachen
schmeckt nach einer letzten Träne
und dem ersten Lachen.

Jutta Richter


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RE: Dichters Kind

#147 von Sirius , 28.12.2018 19:39

Abendlied

Warum, ach sag, warum
geht nun die Sonne fort?
Schlaf ein, mein Kind, und träume sacht,
das kommt wohl von der dunklen Nacht,
da geht die Sonne fort.

Warum, ach sag, warum
wird unsere Stadt so still?
Schlaf ein, mein Kind, und träume sacht,
das kommt wohl von der dunklen Nacht,
weil sie dann schlafen will.

Warum, ach sag, warum
brennt die Laterne so?
Schlaf ein, mein Kind, und träume sacht,
das kommt wohl von der dunklen Nacht,
da brennt sie lichterloh!

Warum, ach sag, warum
gehn manche Hand in Hand?
Schlaf ein, mein Kind, und träume sacht,
das kommt wohl von der dunklen Nacht,
da geht man Hand in Hand.

Warum, ach sag, warum
ist unser Herz so klein?
Schlaf ein, mein Kind, und träume sacht,
das kommt wohl von der dunklen Nacht,
da sind wir ganz allein.

Wolfgang Borchert


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RE: Dichters Kind

#148 von Sirius , 03.01.2019 20:13

Was ist hier verkehrt?

Anita Menger

Erst bellt die Biene,
dann wiehert der Hahn.
Der Tag fängt ja schon lustig an.

Nun grunzt die Ziege,
jetzt schnattert der Hund.
Ja Kinder, hier geht´s richtig rund.

Leis summt die Meise,
laut meckert das Schwein.
Das kann doch wohl nicht möglich sein?

Hier kräht die Ente,
dort zwitschert das Pferd.
Jetzt sagt mir - was ist hier verkehrt?


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RE: Dichters Kind

#149 von Letreo71 , 07.01.2019 21:18


Es blubbert die Katze,
es maunzt der Fisch,
der Wurm streckt die Tatze
und hüpft um den Tisch.

Es gackert die Schlange,
es zischelt das Huhn,
der Ochs auf der Stange
hat nicht viel zu tun.

Leo


Schreiben macht schön.

 
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RE: Dichters Kind

#150 von Sirius , 07.01.2019 22:03

Großartig, Leo! Toll, wie dich solche Dinge inspirieren!

Sirius


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