Wiegenlied für meinen Jungen
Schlaf, mein Küken – Racker, schlafe!
Kuck: im Spiegel stehn zwei Schafe,
bläkt ein großes, mäkt ein kleines,
und das kleine, das ist meines!
Bengel, Bengel, brülle nicht,
du verdammter Strampelwicht.
Still, mein süßes Engelsfüllen:
morgen schneit es Zuckerpillen,
übermorgen blanke Dreier,
nächste Woche goldne Eier,
und der liebe Gott, der lacht,
dass der ganze Himmel kracht.
Und du kommst und nimmst die Spenden,
säst sie aus mit Sonntagshänden,
und die Erde blüht von Farben,
und die Menschen tun’s in Garben
Herr, den Bengel kümmert nischt,
was man auch für Lügen drischt!
Warte nur, du Satansrachen:
heute Nacht, du kleiner Drachen,
durch den roten Höllenbogen
kommt ein Schmetterling geflogen,
huscht dir auf die Nase, hu,
deckt dir beide Augen zu;
deckt die Flügel sacht zusammen,
dass du träumst von stillen Flammen,
von zwei Flammen, die sich fanden,
Hölle Himmel still verbanden – –
so, nu schläft er; es gelang;
Himmel Hölle, Gott sei Dank!
Richard Dehmel
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An das Baby
Alle stehn um dich herum:
Fotograf und Mutti
und ein Kasten, schwarz und stumm,
Felix, Tante Putti...
Sie wackeln mit dem Schlüsselbund,
fröhlich quietscht ein Gummihund.
"Baby, lach mal!" ruft Mama.
"Guck", ruft Tante, "eiala!"
Aber du, mein kleiner Mann,
siehst dir die Gesellschaft an...
Na, und dann - was meinste?
Weinste.
Später stehn um dich herum
Vaterland und Fahnen;
Kirche, Ministerium,
Welsche und Germanen.
Jeder stiert nur unverwandt
auf das eigne kleine Land.
Jeder kräht auf seinem Mist,
weiß genau, was Wahrheit ist.
Aber du, mein guter Mann,
siehst dir die Gesellschaft an...
Na, und dann - was machste?
Lachste.
Kurt Tucholsky
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Kinder, ihr müsst euch mehr zutrauen ...
Kinder, ihr müsst euch mehr zutrauen!
Ihr lasst euch von Erwachsenen belügen
Und schlagen. – Denkt mal: fünf Kinder genügen,
Um eine Großmama zu verhauen.
Joachim Ringelnatz
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Friedrich Wilhelm Güll (1812-1879)
Der erste Zahn
He, groß und klein,
herein, herein!
Es gibt was Neues zu sehen!
Und alles lauft
und rennt und schnauft.
Was Wunder ist geschehen?
Da schaut nur an,
den ersten Zahn
hat unser Schelm bekommen!
Und wie der beißt,
wenn er ihn weist!
Nur ja in acht genommen!
Jetzt sag geschwind:
Wie soll das Kind,
der junge Zahn, denn heißen?
Hans Zwickundzwack
und Knickundknack,
soll hundert Jahre beißen.
Nun sei kein Dalk
und sei kein Schalk
und beiße frisch und munter
vom Fleisch und Brot,
bis in den Tod
dir deinen Teil herunter!
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Rätsel
Es spricht vom Klang,
der im Stillen wohnt,
und vom Gesang
des Mannes-im-Mond.
Erzählt vom Schloss,
das schwebt hoch in der Luft,
samt Traumgeschoss
voller Blütenduft.
Es sagt, wie lieb
dich ein anderer hat,
welch Wort er dir schrieb
auf ein schneeweißes Blatt.
Es sucht nach Sinn
und auch manchmal nach Spaß,
hat Reime drin,
dazu Verse und Maß.
Kommst du dem Ding,
das ich such, auf die Spur?
Das *klingeling* –
was ist es nur?
(Du weißt es wirklich nicht?
Na logisch, das Ge…)
Nikkola Huppertz
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Den Kinderschuhen entwachsen...
"Den Kinderschuhen entwachsen"
Das hörst du voller Stolz
Doch fühlst du dich kaum anders
Bist noch vom gleichen Holz
Du spürst es ganz allmählich
Erkennst den Unterschied
Man wird dich noch mehr fordern
Auf jeglichem Gebiet
Es wird sehr vieles schwerer
Wenn man erwachsen ist
Und eh du dich versehen
Die Kindheit du vermisst
Horst Winkler
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Der kleine Nimmersatt
Ich wünsche mir ein Schaukelpferd,
’ne Festung und Soldaten
und eine Rüstung und ein Schwert,
Wie sie die Ritter hatten.
Drei Märchenbücher wünsch’ ich mir
Und Farbe auch zum Malen
und Bilderbogen und Papier
Und Gold- und Silberschalen.
Ein Domino, ein Lottospiel,
Ein Kasperletheater,
Auch einen neuen Pinselstiel
Vergiss nicht, lieber Vater!
Ein Zelt und sechs Kanonen dann
Und einen neuen Wagen
Und ein Geschirr mit Schellen dran,
Beim Pferdespiel zu tragen.
Ein Perspektiv, ein Zootrop,
’ne magische Laterne,
Ein Brennglas, ein Kaleidoskop -
Dies alles hätt’ ich gerne.
Mir fehlt - ihr wisst es sicherlich -
Gar sehr ein neuer Schlitten,
Und auch um Schlittschuh’ möchte ich
Noch ganz besonders bitten.
Um weiße Tiere auch von Holz
Und farbige von Pappe,
Um einen Helm mit Federn stolz
Und eine Flechtemappe.
Auch einen großen Tannenbaum,
Dran hundert Lichter glänzen,
Mit Marzipan und Zuckerschaum
Und Schokoladenkränzen.
Doch dünkt dies alles euch zu viel,
Und wollt ihr daraus wählen,
So könnte wohl der Pinselstiel
Und auch die Mappe fehlen.
Als Hänschen so gesprochen hat,
Sieht man die Eltern lachen:
"Was willst du, kleiner Nimmersatt,
Mit all den vielen Sachen?
Wer so viel wünscht" - der Vater spricht’s -
"Bekommt auch nicht ein Achtel -
Der kriegt ein ganz klein wenig Nichts
In einer Dreierschachtel."
Heinrich Seidel (1842-1906)
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Danke, Leo!
Die Kleine
Zwischen Bergen, liebe Mutter,
Weit den Wald entlang,
Reiten da drei junge Jäger
Auf drei Rößlein blank,
liebe Mutter,
Auf drei Rößlein blank.
Ihr könnt fröhlich sein, lieb Mutter,
Wird es draußen still:
Kommt der Vater heim vom Walde,
Küsst euch, wie er will,
lieb Mutter,
küsst euch, wie er will.
Und ich werfe mich ins Bettchen
Nachts ohn Unterlass,
kehr mich links und kehr mich rechts hin,
Nirgends hab ich was.
lieb Mutter,
Nirgends hab ich was.
Bin ich eine Frau erst einmal,
In der Nacht dann still
Wend ich mich nach allen Seiten,
Küss, so viel ich will,
lieb Mutter,
Küss so viel ich will.
Joseph von Eichendorff
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Mein Sohn
Du lebst noch nicht.
Ich seh dich so lebendig:
ein kleiner gelber Schopf, die Augen blau;
ich seh dich an und such beständig
die Züge einer lieben Frau.
Du kreischst und jauchzst schon laut in deinen Kissen;
du bist so frisch und klar und erdenhaft.
Du brauchst es nicht wie ich zu wissen,
was Zwiespalt ist, der Leiden schafft.
Der ist dahin. Schrei du aus voller Lunge
und schüttle deine runde, kleine Faust!
Sei froh! Sieh auf die Mutter, Junge -
sie ist so hell, auch wenn ein Sturmwind braust.
Hör ihre Stimme nur: gleich wehts gelinder.
Setz du sie fort. Was bin denn ich allein?
Wir Menschen sind doch stets die alten Kinder:
ich war es nicht - mein Sohn, der soll es sein.
Du sollst es sein!
Und kommst du einst zum Leben:
Du sollst es sein! Ich hab es nicht gekonnt.
Gib du, was deiner Mutter Arme geben:
Leucht uns voran!
Du bist blond
Tucholsky
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Die Blätter an meinem Kalender
Die Blätter an meinem Kalender,
Die sind im Frühling klein
Und kriegen goldene Ränder
Vom Märzensonnenschein.
Im Sommer sind sie grüner,
Im Sommer sind sie fest,
Die braunen Haselhühner
Erbaun sich drin ihr Nest.
Im Herbst ist Wolkenwetter,
Und Sonnenschein wird knapp,
Da falln die Kalenderblätter,
Bums, ab.
Im Winter, wenn die Zeiten hart,
Hat es sich auskalendert.
Ich sitze vor der Wand und wart,
Dass sich das Wetter ändert.
Peter Hacks
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DIE KINDER
Nach dem Gewitter
üben sie Gummispringen,
verschiedene Figuren,
Zitrone, Apfelstrudel, Rollmops,
Hexenküche und Nadelöhr.
Das Mädchen mit dem Käfergesicht
gibt bald auf,
betrachtet stattdessen
das Abendrot an der Hauswand,
nachher das Wasser im Rinnstein,
wie es eilig den Gully sucht.
Träum nicht, ruft eine Freundin,
ehe die Kühle
zu ihnen tritt
und die Lampen
hinter den Fenstern
sich selbst entzünden.
Walter Helmut Fritz
Aus: Alle meine Kinder.
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Ein Kindergedicht
Spann dein kleines Schirmchen auf;
denn es möchte regnen drauf.
Denn es möchte regnen drauf,
halt nur fest den Schirmchen-Knauf.
Halt nur fest den Schirmchen-Knauf -
und jetzt lauf! und jetzt lauf!
Und jetzt lauf! und jetzt lauf!
Lauf zum Kaufmann hin und kauf!
Lauf zum Kaufmann hin und sag:
Guten Tag! guten Tag!
Guten Tag, Herr Kaufmann mein,
gib mir doch ein Stückchen Sonnenschein.
Gib mir doch ein Stückchen Sonnenschin;
denn ich will mein Schirmchen trocknen fein.
Denn ich will mein Schirmchen trocknen fein.
Und der Kaufmann geht ins Haus hinein.
Und der Kaufmann geht hinein ins Haus,
und er bringt ein Stückchen Sonne heraus.
Und er bringt ein Stückchen Sonne heraus.
Sicht es nicht wie gelber Honig aus?
Sieht es nicht wie gelber Honig schier?
Und er tut es sorgsam in Papier.
Und er tut es sorgsam in Papier.
Und dies Päckchen dann, das bringst du mir.
Und zu Haus da packen wir es aus -
sieht es nicht wie gelber Honig aus?
Und die Hälfte kriegst dann Du, mein Irmchen,
und die andre Hälfte kriegt das Schirmchen.
Und jetzt spann dein Schirmchen auf -
und lauf! und lauf!
Christian Morgenstern
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Unreifes Obst
Aus des Nachbars Garten nascht man gern als Kind,
völlig unbekümmert um die Folgen und den Schaden,
ob die Äpfel noch so sauer sind
und die Pflaumen unreif oder voller Maden.
Später wird man kritisch. Wenn erst die Vernunft beginnt,
findet man die reifen Äpfel viel gesünder,
und sie schmecken besser, wenns die eignen sind.
Die gestohlenen Äpfel, die sind für die Kinder.
Fritz Endrikat
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Klingelputzen
Was war das,
aufgeschreckt,
plötzlich hörbar:
als Schrille im Hausgang,
vor der sich die Katze verkroch,
unten ums Gasseneck
ein paar Kinder wegrannten,
dem Verschwinden
hinterher,
ein angespitztes Streichholz
wie ein Stachel steckte
im Klingelknopf.
Walle Sayer
Aus: Den Tag zu den Tagen
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