Die kleine Motte
Es war einmal eine Motte
Mit Vornamen hieß sie Charlotte
Die Mutter warnte das Kind:
„Flieg nicht ins offene Feuer
Die Gefahr ist ungeheuer
Es weht stets ein heißer Wind.“
Charlotte lachte verwegen
Sie flog dem Feuer entgegen
Die Hitze hat sie zerstört
Es war nicht zu verhindern
So ergeht es eben Kindern
Die nicht auf die Mutter gehört.
Edgar Külow
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Bitte
Ich hab dir aus Ton etwas geknetet.
Mama hälts für eine Nonne, die betet.
Papa sagt: Das ist ein fettes Schwein!
Oma meint, ein Schiff könnte es sein.
Opa hält es für einen Richter im Talar.
Was es auch sein mag, eines ist klar:
In dem Ding steckt meine Liebe zu dir
und die Bitte: Sei doch netter zu mir!
Christine Nöstlinger
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Versuch, mit meinem Sohn zu reden
Ich wollte dir erzählen,
mein Sohn,
im Zorn
über deine scheinbare
Gleichgültigkeit,
über die eingeredete Fremde
zwischen uns,
wollte ich dir erzählen,
zum Beispiel,
von meinem Krieg,
von meinem Hunger,
von meiner Armut,
wie ich geschunden wurde,
wie ich nicht weiterwusste,
wollte dir
deine Unkenntnis
vorwerfen,
deinen Frieden,
deine Sattheit,
deinen Wohlstand,
die auch
die meinen sind,
und während ich schon redete,
dich mit Erinnerungen prügelte,
begriff ich, dass
ich dir nichts beibrächte
als Hass und Angst,
Neid und Enge,
Feigheit und Mord.
Meine Erinnerung ist
nicht die deine.
Wie soll ich
dir das Unverständliche erklären?
So reden wir
über Dinge,
die wir kennen.
Nur wünsche ich insgeheim,
Sohn, dass du, Sohn,
deinem Sohn
deine Erinnerung
nicht verschweigen musst,
dass du
einfach sagen kannst:
Mach es so
wie ich,
versuche zu kämpfen,
zu leben,
zu lieben
wie ich,
mein Sohn.
Peter Härtling
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Ich bin ein erwachsener Mensch
Ich hab so ein Verlangen
Nach Mitleid und nach Zärtlichkeit.
Ich möchte nun
Im Bette liegen stundenlang,
So kindergut, so fieberkrank
Und liebe Hände langen.
Ich hab so ein Verlangen.
Kein Mensch will mich bewachen
Und niemand hätschelt mich und summt.
Ach, alle Freundlichkeit verstummt,
Und keine kleine Lampe brennt,
Und niemand, der mich Bubi nennt,
Kein Spielzeug und kein lachen.
Wer streichelt meine Wangen?
Ich hab so ein Verlangen.
Franz Werfel
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Mein Sohn –
als Wunschkind geboren
und doch ungeplant;
voll Liebe erzogen
und doch oft ermahnt;
bemüht dir stets zuzuhören.
Doch völlig zu verstehen
und doch manchmal kopfschüttelnd
und achselzuckend neben dir zu stehen;
Dir tiefes Vertrauen entgegenzubringen.
Dich lieben, annehmen, so wie du bist,
will es mir an schlechten Tagen
auch nicht ganz gelingen.
Dir das rüberzubringen,
so glaube mir trotzdem, dass es so ist.
Froh dich zu haben,
dankbar, dass es dich gibt,
will ich dir sagen:
Ich habe dich lieb!
Cornelia Christina Neid
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Kindergebetchen
Erstes
Lieber Gott, ich liege
Im Bett. Ich weiß, ich wiege
Seit gestern fünfunddreißig Pfund.
Halte Ma und Pa gesund.
Ich bin ein armes Zwiebelchen,
Nimm mir das nicht übelchen.
Zweites
Lieber Gott, recht gute Nacht.
Ich hab noch schnell Pipi gemacht,
Damit ich von dir träume.
Ich stelle mir den Himmel vor
Wie hinterm Brandenburger Tor
Die Lindenbäume.
Nimm meine Worte freundlich hin,
Weil ich schon sehr erwachsen bin.
Drittes
Lieber Gott mit Christussohn,
Ach schenk mir doch ein Grammophon.
Ich bin ein ungezognes Kind,
Weil meine Eltern Säufer sind.
Verzeih mir, dass ich gähne.
Beschütze mich in aller Not,
Mach meine Eltern noch nicht tot
Und schenk der Oma Zähne.
Joachim Ringelnatz
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Wenn die weißen Riesenhasen...
Wenn die weißen Riesenhasen
abends übern Garten rasen
und die goldnen Flügelkröten
still in ihren Beeten beten,
wenn die schwarzen Buddelraben
tief in ihren Graben graben
und die feisten Felsenquallen
kichernd in die Fallen fallen –
dann schreibt man, wie jedes Jahr,
den hundertzwölften Januar.
Was, ihr kennt ihn nicht, den Tag?
Schaut mal im Kalender nach!
Robert Gernhard
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Auf einem blauen Kinderbuch
Auf einem blauen Kinderbuch
Lag ruhig schlummernd ein Herr Kuch.
Er kam von einer Platte Kuchen
War weggestreckt, man sollt ihn suchen.
Doch niemand hatte ihn gefunden,
Und langsam rannen ihm die Stunden.
Da schlief er ein aus Langeweile,
Kuch hatte eben keine Eile.
Da kam ein Kind und sah den Kuch
Fest schlafend auf dem blauen Buch,
Das aß ihn auf mit Wohlbehagen,
Da kam der Kuchen sozusagen
Hinunter in des Kindes Magen.
Kurt Schwitters
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Der Kobold
Das Haus hab ich erbaut
Vom Keller bis zum Dach.
Wer hat den Kobold eingesetzt,
Der unter der Treppe wohnt?
Er trinkt von meinem Wein,
Er nagt am Schinkenbein,
Er steckt sich Zucker in den Sack,
Er schmaust von meinem Rauchtabak,
Macht allen Vorrat klein.
Wo nur die Tinte bleibt?
Des Nachts, wenn keiner wach,
Da geht er an mein Markenfach,
Weß niemand, wem er schreibt.
Was tut er zum Vergelt?
Er geigt um Mitternacht.
Er gibt auf meine Kinder acht,
Dass keins die Treppe fällt.
Was tut er noch zum Dank?
Er putzt das Mondhorn blank.
Damit es silberrein
In meine Fenster schein.
Werner Bergengruen
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Abendlied
Warum, ach sag, warum
geht nun die Sonne fort?
Schlaf ein, mein Kind, und träume sacht,
das kommt wohl von der dunklen Nacht,
da geht die Sonne fort.
Warum, ach sag, warum
wird unsre Stadt so still?
Schlaf ein, mein Kind, und träume sacht,
das kommt wohl von der dunklen Nacht,
weil sie dann schlafen will.
Warum, ach sag, warum
brennt die Laterne so?
Schlaf ein, mein Kind, und träume sacht,
das kommt wohl von der dunklen Nacht,
da brennt sie lichterloh.
Warum, ach sag, warum,
gehen manche Hand in Hand?
Schlaf ein, mein Kind, und träume sacht,
das kommt wohl von der dunklen Nacht,
da geht man Hand in Hand.
Warum, ach sag, warum
ist unser Herz so klein?
Schlaf ein, mein Kind, und träume sacht,
das kommt wohl von der dunklen Nacht,
da sind wir ganz allein.
Wolfgang Borchert
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1 bis 10
fürs schlaue Kind
Pass auf, es beginnt!
und gib 8, schlaues Kind,
beim 7,
beim 7 von Sand!
Ich bitt dich, sei 1,
sei 1ichtsvoll, Kleins
und bleib Papan 3,
und streichle die 2 ,
die 2ge mit zarter Hand.
Und sprich, kleine Hex,
nicht immerzu 6,*
nicht immerzu 6isch, du!
Gib 8 auf die 9,
das wird Mama freuen,
gibt 8 auf die 9 Schuh!
Gib 8 auf die 10,
die 10nägel, du,
sonst zerreisst du die Strümpf,
und sorge auch 5-
ich meine: sorg 4
das flötende Tier,
den hellgrünen Wellensittich,
mein schlaues Kind,
du, ich bitt dich!
Johannes Conrad
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Kohlblättchen
Ich will dir mal was lesen,
Von dem alten Besen,
Von dem alten Putzestecken,
Fegt die Spinnen aus den Ecken,
Fallen alle runter,
Sind drei Schneider drunter,
Geh ich hin und fang mir einen
Bei den langen Schneiderbeinen,
Näh einmal zwei neue Kleider –
Mir eins, Ami eins,
Nur de faulen Grete keins.
Victor Blüthgen
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Kind und Buch
„Komm her einmal, du liebes Buch;
Sie sagen immer, du bist so klug.
Mein Vater und Mutter, die wollen gerne,
Dass ich was Gutes von dir lerne;
Drum will ich dich halten an mein Ohr;
Nun sag mir all deine Sachen vor.
Was ist denn das für ein Eigensinn,
Und siehst du nicht, dass ich eilig bin?
Möchte gern spielen und springen herum,
Und du bleibst immer so stumm und dumm?
Geh, garstiges Buch, du ärgerst mich,
Dort in die Ecke werf ich dich.“
Wilhelm Hey
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