Deutsches Gutenachtlied

Die Wiese ist geschoren,
und hätte sie zwei Ohren,
wäre sie ein Schaf.

Der Sommer hat begonnen
und ist schon halb gewonnen –
im Heuduft kommt der Schlaf.

Und Gras und Wolle wachsen
in Bayern wie in Sachsen.
der Wiese und dem Schaf.

Reiner Kunze

Schlafe ein

Schlaf ein, schlaf ein, mein Kind,
Schlafe ein und träume.
Draußen geht ein kühler Wind,
Weht durch alle Bäume.

Schlaf, mein Kind, schlaf ruhig ein.
Schlaf im Mondenscheine,
Einmal wirst Du größer sein ,
Dann bin ich alleine.

Schlaf, mein Bub, ich wache dann
Träumend dich zu sehen.
Bist du erst ein großer Mann,
Wirst du von mir gehen.

Schlaf, mein Bub, ich bleib bei dir,
Treu dich zu umsorgen.
Schlaf, denn draußen vor der Tür
Dämmert grau der Morgen.

Sommer 1952

Edeltraud Eckert

Nach einem Streit

Weißt du,
wie das ist,
traurig zu sein,
sich ganz allein
zu fühlen?
Du gibst mir
nicht einmal einen Kuss,
sagts: „Schluss,
es ist Zeit, schlafen zu gehen!
Ich liege da
mit all meiner Wut.
Mir geht es nicht gut!

Regina Schwarz

Zufall

In Schweden schrie ein Baby –
das war vor Jahr und Tag,
als hierzulande im Körbchen
ein andres Baby lag.

Sonst geht’s so nur im Märchen,
doch diesmal ist es wahr:
die beiden Babys wurden
ganz zufällig ein Paar.

Der Papa, der erzählte
gestern die Sache mir:
er selber ist aus Schweden,
die Mama ist von hier.

Rudolf Otto Wiemer

Ich

Ich, träumerisch, träge,
schlafmützig, faul.

Und ich: Rührlos, neugierig,
hellwach, betriebsam.

Und ich: Kleingläubig, feige,
zweiflerisch, hasenherzig.

Und ich: Unverblühmt, frech,
tapfer, gar mutig.

Und ich: Mitfühlend, zärtlich,
hilfsbereit, beschützend.

Und ich: Launisch, gleichgültig,
einsilbig, eigenbröderisch.

Erst wir alle zusammen sind ich.

Hans Manz

Großmutter

Als ihre Haut
kühl und weich
ihre Gedanken pfiffig
ihr Geist hellwach
ihre Freude ungebrochen
und ihre Liebe zu mir
unendlich war
feierte sie ihren
einundneunzigsten Geburtstag
Sechs Wochen später starb sie
und hinterließ mir
ein Stopfei
und einen hölzernen Quirl
den hatte Großvater
siebzig Jahre zuvor
aus einem Fichtenstämmchen
geschnitzt
Beides halte ich täglich
in meinen Händen

Rainer Hobmann

Ist das schön!

Drei Jahre alt

Drei Jahre wirst du alt,
was wünschst du dir?

Zwei kleine Spielzeuggeigen,
die dir Vivaldi spielen?
Ein Kanapee zum Klettern
und kinderliebe Dielen?
Ein altes Baggerloch,
um darin rumzurutschen,
ein Pfund Lakritzestangen,
um dich dran krank zu lutschen?

Ein Feuerwerk im Garten,
tausend Geburtstagsblumen?
Und deinen Lieblingskuchen
innen mit Schokokrumen?
Ich schenk dir auch ein Häuschen
für deine Puppenkinder
und Papa dir nen Stall
für Holzpferd, Hahn und Rinder.
Ein Stöckchen, einen Schal
und einen weißen Wal.

Zum ersten Mal drei Kerzen
auf rosa Totengrund.
Von Oma ein Pfund Plätzchen
und einen Kuschelhund.
Ich freu mich mehr als du,
was du für Augen machst,
nach allem greifst zuerst
und rauf und runter lachst.
In Liebe eingewickelt,
Papier wär viel zu kalt,
sind die Geschenkefluten.
Bleib doch drei Jahre alt!

Miriam Francis

Portrait eines Kindes

Wie viel
durch diese sehr offenen Augen
noch durch muss

an Menschen, Bildern
und Schrecken,
an Tränen und Garben
von Licht –

Jetzt spiegeln sie,
zwischen Fristen von Schlaf,
von außen und innen
den Himmel.

Richard Exner

Wieder eines schöner, als das andere. Danke, Sirius!

Keine Ursache, Leo. Ich freue mich doch, wenn hier gelesen wird!

Schlaflied

Schlaf, mein Sohn, mach die Augen zu
Mama ist da und sitzt bei dir
träum was schönes, na nu schlaf schon, du
brauchst nicht weinen, ich bin ja hier.

Hab keine Angst vor lauten Dingen
Wölfe gibt es nur im Wald
Mama ist da, um ein Schlaflied zu singen
und wenn sie dich zudeckt ists nicht mehr kalt

Hab keine Angst vorm schwarzen Mann
der fürchtet sich ja selber so
träum von der Eisenbahn
Löwen gibt's doch bloß im Zoo.

Weine doch nicht mehr, ist doch schon gut
ich wisch dir deine Tränen weg .
Keiner ist da, der dir was tut
wenn ich dich in dein Bettchen leg .

Na siehst du wohl, jetzt schläfst du schon.
Wie klein du bist, das tut so weh .
Ich kann nicht schlafen, wie du, mein Sohn
weil du noch nicht siehst, was ich schon seh

Bettina Wegner

noch ein kinderlied

sieh mal, mein kind, dort oben,
wie langsam die wolken ziehen.
die meisten sehen wie wolken aus.
nicht mal die vögel fliehen.

und sieh mal, mein junge, dort drüben,
wie langsam das eis nur taut.
und auch die berge, die es kleidet,
sind aus millionen von jahren gebaut.

und aus steinen, hier hast
du einen, wirf ihn ruhig
in den fluss, er wird
versinken, doch nicht
ertrinken, weil er
ganz selten nur
luft holen muss..

sieh auf die uhr an der wand:
wie langsam der zeiger sich dreht.
dann sieh in den spiegel, mein kind, sieh hin!
wie schnell die zeit vergeht.

Andreas Lehmann

Kind

ich weiß nicht was ich
mit dir anfangen soll
überall stehen mir im weg
deine roten blauen und gelben würfel
ich bin zu alt
deine geschichten noch zu verstehn
ich merke schon
meine antworten sind zu dumm
wenn du wirklich was lernen willst
geh weg
aber das ist ja nicht alles
soll ich vielleicht

da siehst du mich nur ganz groß
an
eines tages
bist du so krumm wie ich
dann wissen wir beide nicht was
wir mit uns anfangen sollen
mein großer autobus fährt mit uns weg
du wirst sehen dass die ordnung
aus lauter unordnung besteht
und an einigen wörtern (entschuldige)
wirst du dir den kopf stoßen
aber
vorläufig stehen wir zusammen auf
haben zusammen eine erkältung
du ißt mit mir
du schläfst bei mir
du sprichst mit mir und manchmal
siehst du mich an
als wüsstest du schon alles

Nicolas Born

Alles kann man nicht sagen

Wenn man eine Sternschnuppe sieht,
kann man sich etwas wünschen.
Aber man darf es nicht sagen,
weil es sonst nicht in Erfüllung geht.

Wenn ich mir wünsche, dass du mich
ganz unerwartet
an dich ziehst und mir über die Haare streichst,
kann ich es nicht sagen.

Wenn ich es sagen würde
und du es dann tätest,
wäre es überhaupt nicht,
was ich mir gewünscht habe.

Martin Auer

Wen du brauchst

Einen zum Küssen und Augenzubinden,
einen zum lustige-Streiche-erfinden.
Einen zum Regenbogen-suchen-gehen
und einen zum fest-auf-dem-Boden-stehn.
Einen zum Brüllen, zum Leisesein einen,
einen zum Lachen und einen zum Weinen.
Auf jeden Fall einen, der dich mag,
heute und morgen und jeden Tag.

Regina Schwarz