Puuuh. Da hat aber einer genau Silben gezählt, damit ja das Versmaß eingehalten wird. Das erste Gedicht, was ich RICHTIG schlecht finde. das KANN man spätestens seit den 1930ern nicht mehr toll finden. Zu viel Staub: zu viel Gespinne, zu viel Mond und Schall und Nachtigall. Bei "Mein Herz ist klar und rein..." hab ich Sodbrennen bekommen. Das Gedicht ist wie gemacht für eine Anthologie "Was die Leute in der Romantik toll fanden, aber eigentlich scheiße ist."
Was soll dieses Gedicht bei einem Menschen des 21. Jhd.s auslösen? Das hat auch absolut NICHTS zu suchen unter den 100.000 beliebtesten Gedichten DES 21. JAHRHUNDERTS. Und wieder so eine Opfer-Frau, siehe das Frühschicht-Mädchen am Kohleofen (War es Kohle?). In der Romantik war es offensichtlich chic, dass Männer sich wünschen, dass verlassene, unselbstständige Frauen heulend bei der Arbeit sitzen. DAMIT DIE MÄNNER DANN schlechte Gedichte darüber schreiben können. Ich hau meiner Freundin doch auch keine und male das dann in Acryl. (Obwohl: Ich hab mal gehört, dass die "Sängerin" "Alexandra" extra in einem kleinen Waldstück im Harz Borkenkäfer ausgesetzt hat, nur, um das "Lied" "Mein Freund der Baum ist tot" so richtig schön "interpretieren" zu können.)
Ich lobe hiermit einen Wettbewerb aus: Wer mir glaubhaft versichert, dass er dieses Gedicht so richtig gut findet und dass es etwas in ihm auslöst, bekommt von mir wahlweise geschenkt:
- 10,00 € (man beachte das Komma)
- ein Gedicht
Tut mir echt leid. Wer so etwas schön findet, ist echt ein Freak. Oder sammelt Hummel-Figuren.
LG
Jörn
Nicht erst morgen, heute komm zum Rosengarten. (Pierre de Ronsard)
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Du hast ja recht, weegee, und ich habe wirklich laut gelacht über deinen Beitrag.
Die Ausgabe „Die 100 beliebtesten deutschen Gedichte“ ist von 2008, man findet aber kein zeitgenössisches, kein modernes Gedicht. „Modern“ ist schon Brecht, Nietzsche, Benn.
Viele Gedichte stelle ich gar nicht erst vor, weil sie endlose Strophen haben, von den Schllers und Goethes.
Und im Nachhinein finde ich die Idee auch gar nicht mehr so gut, weil auch ich diese Gedichte inzwischen sprachlich verkalkt und antiquiert finde
Dieses „beliebt“ stammt von den Verlagen und Herausgebern, nehme ich an, und nur ein häufiges Erscheinen ist ja kein Argument für Beliebtheit beim Leser.
Die Verlage leben da in einer anderen Welt, deshalb verkauft sich auch Lyrik so schlecht, weil die eine neue Umgangssprache noch gar nicht mitbekommen haben, oder aber gleich aufs Experimentelle gehen.
Die angebliche „Moderne Lyrik“ liegt nämlich wie Blei in den Regalen. Bei Thalia (bei uns!) wurden in drei Monaten gerade mal zwei Bände verkauft, klassische Bände aber zehnmal so viel – und Prosa, wie wir sie schreiben, gingen über fünfzig Mal über den Ladentisch.
Poeten wie Mascha Kaleko, Erich Mühsam, Hilde Domin, Ulla Hahn, Bettina Wegener – das sind die Dauerbrenner, zusammen mit Strittmatter und Co.
Im satirischen Bereich ist Robert Gernhardt führend, Thomas Gsella oder Wiglaf-Droste.
Das, was man uns bis zum Erbrechen ständig andrehen will, dieselben Autoren, von Heine bis Goethe, von Rilke bis Schiller, unter hunderten verschiedenen Titeln, ausgewalzt in unendlichen Themen – das sind eigentlich die wahren Ladenhüter!
Aber die repräsentieren nun mal unsere „Kultur“ und literarische Geschichte, und werden immer und immer wieder auf den Markt geschmissen, entgegen allen wirtschaftlichen Verstandes.
Und deshalb winken auch so viele bei „Lyrik“ ab, weil sie das O und Ach, das Holde und das Weh mit der Nachtigall nicht mehr ertragen können.
Es sind die Verlage selbst, die die Lyrik und die Prosa in schlechte Verkaufszahlen bringen.
Sirius
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Astern
Gottfried Benn
Astern - schwälende Tage,
alte Beschwörung, Bann,
die Götter halten die Waage
eine zögernde Stunde an.
Noch einmal die goldenen Herden,
der Himmel, das Licht, der Flor,
was brütet das alte Werden
unter den sterbenden Flügeln vor?
Noch einmal das Ersehnte,
den Rausch, der Rosen Du -
der Sommer stand und lehnte
und sah den Schwalben zu,
noch einmal ein Vermuten,
wo längst Gewißheit wacht:
Die Schwalben streifen die Fluten
Und trinken Fahrt und Nacht.
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Geht doch. Benn ist zu bewundern, Benn ist toll. Der hat seine ganz eigene Sprache, die nirgendwo anders zu finden ist. Das ist Funke. Bei den ASTERN schwimmt im Hintergrund immer so etwas mit, was man nie ganz zu fassen kriegt, und wenn man es tausendmal liest. Das macht es so groß.
LG & Dank
Jörn
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Zitat von Sirius
Das, was man uns bis zum Erbrechen ständig andrehen will, dieselben Autoren, von Heine bis Goethe, von Rilke bis Schiller, unter hunderten verschiedenen Titeln, ausgewalzt in unendlichen Themen – das sind eigentlich die wahren Ladenhüter!
Aber die repräsentieren nun mal unsere „Kultur“ und literarische Geschichte, und werden immer und immer wieder auf den Markt geschmissen, entgegen allen wirtschaftlichen Verstandes.
Diese Werke haben den Vorteil, dass keiner mehr bezahlt werden muss. 70 Jahre nach Tod des Künstlers werden die Werke gemeinfrei und jeder kann die Werke herausgeben ohne auch nur einen Cent an den Autor oder dessen Erben abdrücken zu müssen.
Gottfried Benn mag ich. Aber das obige Werk ist meines Erachtens ein schwächeres Gedicht von ihm.
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Ich glaube nicht, dass, wenn das Urheberrecht - das es sehr zu recht gibt - fallen würde, die Verlage grundsätzlich anders verfahren würden. Gartenmärkte verkaufen im Advent auch immer nur rote Weihnachtssterne mit Glitter. Weil die Leutchen nischt anderes wollen. Weil Veränderung ist GEFÄHRLICH.
Jörn
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Rainer Maria Rilke
Der Panther
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf — Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille —
und hört im Herzen auf zu sein.
September 1903
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Strike! Ich mag das Allermeiste von Rilke nicht, weil für meine Ohren zu manieristisch, aber das ist saustark. Für mich schon immer gewesen. Weil ich kenne eine Seele, der es genau SO geht.
Ten points from the Lower Saxony jury!
DANKE, Sirius!
Jörn
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Paul Celan
Todesfuge
Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
wir trinken und trinken
wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne er pfeift seine Rüden herbei
er pfeift seine Juden hervor läßt schaufeln ein Grab in der Erde
er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz
Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich morgens und mittags wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
Dein aschenes Haar Sulamith wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng
Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr andern singet und spielt
er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts seine Augen sind blau
stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr andern spielt weiter zum Tanz auf
Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags und morgens wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen
Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland
er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft
dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng
Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland
wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken
der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau
er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft
er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus Deutschland
dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith
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Für mich sind es zwei Mahner, die das Gedenken und das Denken an Faschismus und Holocaust hochhalten: Lee Miller mit ihren erschütternden Fotos und Celan mit seiner Todesfuge. Der Tod ist ein Meister AUS DEUTSCHLAND fasst für mich alles zusammen.
Und dann die Frage der Gruppe 47: Kann es, darf es eine Lyrik nach dem Holocaust geben? Durfte es ein normales LEBEN nach dem Holocaust geben?
Jörn
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Grodek
Georg Trakl
Am Abend tönen die herbstlichen Wälder
Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen
Und blauen Seen, darüber die Sonne
Düstrer hinrollt; umfängt die Nacht
Sterbende Krieger, die wilde Klage
Ihrer zerbrochenen Münder.
Doch stille sammelt im Weidengrund
Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt
Das vergoßne Blut sich, mondne Kühle;
Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.
Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen
Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain,
Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter;
Und leise tönen im Rohr die dunklen Flöten des Herbstes.
O stolzere Trauer! ihr ehernen Altäre
Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz,
Die ungebornen Enkel.
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Waaaaaaaaas? Das zählt zu den 100 Beliebtesten? Glaub ich nicht. Du MUSST dich vertan haben, Sirius. Das ist doch viel zu SHOCKING für den Erlkönig-Fetischisten, Hummel-Figuren-Sammler, Rote-Weihnachtssterne-mit-Glitzer-druff-Käufer.
Ich kenn das Gedicht überhaupt nicht. Und ich muss es noch dreißigmal lesen, damit es bei mir ankommt. Mein erster Eindruck: Hieronymus Bosch-Figuren. APOKALYPTISCH! GEWALTIG!
Aha! "Schlacht von Gródek (1914) in Ostgalizien (heutige Ukraine)".
LG
Jörn
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Ich wusste gar nicht, dass es rote Weihnachtssterne auch ohne Glitzer gibt.
Ich kannte natürlich den Trakl, aber das Gedicht selbst auch nicht. Schon die Todesfuge hat mich überrascht, das beschämt doch uns sensiblen Deutschen so.
Aber von jetzt an kann es nur noch bergab gehen, bis ich freiwillig aufhöre, wegen Unzumutbarkeit an den Lesern.
Sirius
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Sirius, können wir einen Deal machen? Du hältst weiter durch, bis ICH schreibe: "Das ist eine Zumutung! Jetzt hör aber ma uff!" o. ä. Was DU von dem Deal haben könntest, weiß ich nicht, eine Menge Arbeit bestimmt. Du kannst das Ende auch provozieren: einfach 30 Goethe-Gedichte hintereinander, einen Monat lang.
LG, Jörn
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