Ludwig Uhland
Einkehr
Bei einem Wirte wundermild,
Da war ich jüngst zu Gaste;
Ein goldner Apfel war sein Schild
An einem langen Aste.
Es war der gute Apfelbaum,
Bei dem ich eingekehret;
Mit süßer Kost und frischem Schaum
Hat er mich wohl genähret.
Es kamen in sein grünes Haus
Viel leichtbeschwingte Gäste;
Sie sprangen frei und hielten Schmaus
Und sangen auf das beste.
Ich fand ein Bett zu süßer Ruh
Auf weichen, grünen Matten;
Der Wirt, er deckte selbst mich zu
Mit seinem kühlen Schatten.
Nun fragt ich nach der Schuldigkeit,
Da schüttelt er den Wipfel.
Gesegnet sei er allezeit
Von der Wurzel bis zum Gipfel.
Reset the World!
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Ein Reimwerk aus dem vorindustriellen Zeitalter, aus der GUTEN ALTEN ZEIT, die es auch nur für die oberen 100 gegeben hat. Eine ganz süße Idee: Das LI darf sich im Wirtshaus ZUM APFEL kostenfrei mit Cider einen antüddeln, denkt man zuerst.
Auf das 21. Jhd., auf Kapitalismus, wucherndes Wachstum und ungebremsten Konsum übertragen, würde das Gedicht in etwa bedeuten: Person A kommt und pflückt sich einen Apfel (der Hunger ist so groß und der nächste ALDI zu weit weg, es gibt immer noch zu wenig Discounter, weil da gibt es RICHTIGE, runde, pausbäckige, genormte Äpfel und nicht so'n schrumpeligen stockfleckigen Scheiß wie hier), Person A pflückt sich noch 10 Äpfel mehr, Hauptsache haben, wer weiß, ob noch was übrig bleibt, wenn andere kommen. Person B bis M kommen des Wegs und verfahren genauso. Der Baum ist leer gepflückt, Person N kommt und denkt sich: Hunger hab ich eh nicht, aber Feuerholz könnte ich brauchen. Er bestellt via amazon prime eine STIL-Motorsäge, die kommt per Drohne.
Und der Baum noch so: GERN GESCHEHEN! ICH HÄTT DA NOCH DIE WURZELN!
Der Mensch in Einklang, auf Du und Du mit Mutter Natur. Die GUTE ALTE ZEIT! Ach, Uhland!
Jörn
Nicht erst morgen, heute komm zum Rosengarten. (Pierre de Ronsard)
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Deine Version ist auf jeden Fall humorvoller und interessanter.
Vielleicht schreiben wir auch mal ein wundermildes Gedicht aus unseren Wander- und Apfeljahren.
Sirius
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Der von Kürenberg
Ich zog mir einen Falken
Ich zog mir einen Falken
länger als ein Jahr.
Nachdem ich ihn mir gezähmt,
wie ich ihn haben wollte,
und ihm sein Gefieder
mit Gold wohlgeschmückt,
erhob er sich hoch in die Lüfte
und entflog in fremdes Land.
Seither sah ich den Falken
schön fliegen.
er führte an seinem Fuße,
seidene Riemen,
und sein Gefieder
war ganz rotgold.
Gott sende sie zusammen,
die gerne geliebt wollen sein.
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Zitat Anfang: "Über die inhaltliche Bedeutung des Liedes gibt es einige unterschiedliche Auffassungen. Am wahrscheinlichsten scheint die Deutung, dass wir es mit der Klage einer Dame um ihren ungetreuen Liebhaber, der sie verlassen hat, zu tun haben. Schließlich erscheint der Falke in der mittelalterlichen Literatur häufig als Symbol für den Geliebten. Sollte diese Deutung zutreffen, ist das Lied der Gruppe der sogenannten Frauenlieder oder Frauenklagen zuzurechnen. Nicht auszuschließen ist aber auch eine Umkehrung der Rollen, wodurch es dann ein Mann wäre, der die Rolle des Verschmähten zu erleiden hat.
Gelegentlich ist das Falkenlied auch als sogenanntes Brautlied gedeutet worden. Nach dieser Auffassung beklagt ein Vater den Verlust seiner Tochter, die durch Heirat ihr Heim verlässt und einem neuen Besitzer und Heger zufliegt.
Die vordergründigste Interpretation, dass tatsächlich ein entflogener Falke beklagt wird, scheint hingegen durch den Überlieferungshintergrund auszuschließen zu sein: In den Handschriften findet sich das Falkenlied immer zusammen mit Minneliedern, also Liedern, welche die Liebe thematisieren." Zitat Ende
Mmpfh. Inhaltlich und sprachlich sehr dünn. Aus literaturhistorischer Sicht vielleicht interessant, Minne und so. Sonst überhaupt nicht. Und wieder verlassene Frauen oder Männer oder Töchter oder Falken.
Obwohl: Ich hab mal einen Roman über das Leben Walther von der Vogelweides gelesen: "Wer gab dir, Liebe, die Gewalt", das war nicht unspannend.
LG, Jörn
Nicht erst morgen, heute komm zum Rosengarten. (Pierre de Ronsard)
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Joseph von Eichendorff
Zwielicht
Dämmrung will die Flügel spreiten,
Schaurig rühren sich die Bäume,
Hast ein Reh du lieb vor andern,
Laß es nicht alleine grasen,
Jäger ziehn im Wald und blasen,
Stimmen hin und wieder wandern.
Hast du einen Freund hienieden,
Trau ihm nicht zu dieser Stunde,
Freundlich wohl mit Aug und Munde,
Sinnt er Krieg im tückschen Frieden.
Was heut müde gehet unter,
Hebt sich morgen neugeboren,
Manches bleibt in Nacht verloren -
Hüte dich, bleib wach und munter!
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Paul Fleming
An sich
Sei dennoch unverzagt! Gib dennoch unverloren!
Weich keinem Glücke nicht, steh höher als der Neid,
vergnüge dich an dir und acht es für kein Leid,
hat sich gleich wider dich Glück, Ort und Zeit verschworen.
Was dich betrübt und labt, halt alles für erkoren;
nimm dein Verhängnis an. Laß alles unbereut.
Tu, was getan muß sein, und eh man dir's gebeut.
Was du noch hoffen kannst, das wird noch stets geboren.
Was klagt, was lobt man noch? Sein Unglück und sein Glücke
ist ihm ein jeder selbst. Schau alle Sachen an:
dies alles ist in dir. Laß deinen eitlen Wahn,
und eh du fürder gehst, so geh in dich zurücke.
Wer sein selbst Meister ist und sich beherrschen kann,
dem ist die weite Welt und alles untertan.
(1641)
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Zu Eichendorff und Paul Fleming: GÄÄHHHN! Der erhobene Zeigefinger soll ihnen abmodern, was er gewiss schon vor Jahrhunderten getan hat. Dass sowas noch gedruckt wird. Warum bloß. "Wer sein selbst Meister ist und sich beherrschen kann, dem ist die weite Welt und alles untertan." Haha. Von wegen.
Sirius, sei stark. Ich bin noch bei dir.
LG, Jörn
Nicht erst morgen, heute komm zum Rosengarten. (Pierre de Ronsard)
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Anonym
du bist mîn ich bin dîn
des solt dû gewis sîn
dû bist beslozzen
in mînem herzen
verlorn ist daz slüzzelîn
dû muost immer drinne sîn
Übersetzung:
du bist mein ich bin dein
dessen sollst du gewiß sein
du bist verschlossen
in meinem herzen
verloren ist das schlüssellein:
du must für immer drinnen sein
(Übersetzung von Max Wehrli)
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Bitte
Nikolaus Lenau
Weil auf mir, du dunkles Auge,
Übe deine ganze Macht,
Ernste, milde, träumerische,
Unergründlich süße Nacht!
Nimm mit deinem Zauberdunkel
Diese Welt von hinnen mir,
Daß du über meinem Leben
Einsam schwebest für und für.
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Zitat von Sirius
Anonym
du bist mîn ich bin dîn
des solt dû gewis sîn
dû bist beslozzen
in mînem herzen
verlorn ist daz slüzzelîn
dû muost immer drinne sîn
Übersetzung:
du bist mein ich bin dein
dessen sollst du gewiß sein
du bist verschlossen
in meinem herzen
verloren ist das schlüssellein:
du must für immer drinnen sein
(Übersetzung von Max Wehrli)
Das ist SEHR bekannt und zuckersüß, wie von einem frühreifen Grundschüler in ein Poesiealbum geschrieben. DER schließt vor 900 Jahren eine ganze Person weg, ich heute nur EINEN KUSS. Hurra, wir lernen dazu!
LG, Jörn
Nicht erst morgen, heute komm zum Rosengarten. (Pierre de Ronsard)
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Zitat von Sirius
Bitte
Nikolaus Lenau
Weil auf mir, du dunkles Auge,
Übe deine ganze Macht,
Ernste, milde, träumerische,
Unergründlich süße Nacht!
Nimm mit deinem Zauberdunkel
Diese Welt von hinnen mir,
Daß du über meinem Leben
Einsam schwebest für und für.
Find ich gar nicht so schlecht, in der Sprache gestelzt, Romantik eben. Aber schön komprimiert, nicht so ausufernd. So viel Lebensmüdigkeit und Überdruss schon im frühen 19. Jhd. DER GUTEN ALTEN ZEIT. Damals hatten die Leut wohl noch viel mehr (?) Anlass und Grund dafür. Viel mehr Zwänge, viel mehr unüberwindbare Grenzen. Was sie wohl zu unseren heutigen ""Freiheiten"" ((doppelte Gänsefüßchen)) sagen würden? Oder würden sie sagen: Mann, und WIR dachten, UNS geht`s beschissen mit unserer politischen Unfreiheit, den vielen gesellschaftlichen und politischen Schranken und der vielen Knechterei für andere, aber EUCH hat`s echt bitter erwischt. Aber Ihr habt Internet. Und 34 Sorten Cornflakes.
WIR schreiben hier oft nichts anderes, nur in anderen, uns angemessenen Worten.
LG, Jörn
Nicht erst morgen, heute komm zum Rosengarten. (Pierre de Ronsard)
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Ein wunderbarer Kommentar, Jörn!
Und ich bin entsetzt, dass es 34 Sorten Cornflakes gibt!
Sirius
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Sachliche Romanze
Erich Kästner
Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen: sie kannten sich gut)
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.
Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
versuchten Küsse, als ob nichts sei,
und sahen sich an und wussten nicht weiter.
Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.
Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.
Er sagte, es wäre schon Viertel nach vier
und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.
Nebenan übte ein Mensch Klavier.
Sie gingen ins kleinste Café am Ort
und rührten in ihren Tassen.
Am Abend saßen sie immer noch dort.
Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.
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