Das Adventskalendertürchen öffnet sich und der kleine Jörn ist ganz entzückt ob dem, was Onkel Sirius dahinter versteckt hat: DAS Kästner-Gedicht schlechthin (neben: Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn, das MUSS noch kommen!). Bestechend in seiner Schlichtheit, in der Alltäglichkeit und Banalität des Beschriebenen, weil Kästner beschreibt nur und gibt keine Antwort. Und am Schluss: große Ratlosigkeit auch beim Rezipienten und dann doch die gewaltige Antwort nach dem letzten geschriebenen Buchstaben in aller Leere: Die Liebe GEHT EINFACH.
DANKE, Onkel Sirius!
(Wenn du durchhältst - kannst du den Rest so takten, dass das 100. Gedicht am 24. Dezember, 9 Uhr Morgens, erscheint?)
Nicht erst morgen, heute komm zum Rosengarten. (Pierre de Ronsard)
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Na, klar, das kann ich machen, Jörn.
Die Frage ist nur, ob DU durchhältst, wenn dann ein Dutzend Male Goethe kommt und viele Gedichte mit endlosen Strophen. Die vermeide ich ja alle bisher, damit ich das selber auch alles überlebe.
Also als Weihnachtsüberraschung ist das, was ich jetzt noch habe, wenig geeignet, es sei denn, du brauchst die richtige Einstimmung für den Heiligabendgottesdienst.
Doch für morgens um neun am Heiligabend muss man wirklich schon jedes Geschenk gehabt haben, um das zu ertragen.
Sirius
Reset the World!
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Friedrich Nietzsche
Das trunkene Lied
O Mensch! Gib Acht!
Was spricht die tiefe Mitternacht?
»Ich schlief, ich schlief –,
Aus tiefem Traum bin ich erwacht: –
Die Welt ist tief,
Und tiefer als der Tag gedacht.
Tief ist ihr Weh –,
Lust – tiefer noch als Herzeleid:
Weh spricht: Vergeh!
Doch alle Lust will Ewigkeit –,
– will tiefe, tiefe Ewigkeit!«
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Schon wieder Nietzsche? Das wundert mich. Das Gedicht ist, wie Nietzsche überhaupt, für mich: schwerer, staubiger Brokat in einem abgedunkelten, schlecht gelüfteten Raum. Und Unrecht hat er hier auch noch: das Weh vergeht trotz aller Wünsche nicht und auch nicht so schnell der an Weh Leidende.
Sirius, ich fahr morgen in den Baumarkt und kauf mir so eine Atemschutz-Heimwerker-Maske, wegen des vielen Staubes, der noch kommen wird.
LG, Jörn
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Nietzsche habe ich nie verstanden, somit befindet sich obiges Gedicht in traditionell guter Gesellschaft.
Ich würde das Nietzsche-Gewische in einer reziproken Liste aufnehmen: Die hundert unbeliebtesten Gedichte.
So:
Und liege ich dereinst auf der Bahre
so gebt mir bitte meine Gitahre
in den Sarg, in mein Grab
oder:
Wer ander'n eine Grabe grub,
sich selber in die Hosen pupt.
Und:
Oh Du mein funkelndes Furunkel
Du erstrahlst sogar im Dunkel.
Jawoll-Ja! Das ist nietzschekesk!
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Ich bin nüchtern. Das Ergebnis siehst Du ja. Kein Wunder, wenn ich anfange zu hyperventilieren:
'Auf dem Berge' Gedichte
"Durch die Straßen fließt der Eiter usw.' Gedicht
Die sind schlecht wie die Pest, ich habe mich damals dennoch weggeschmissen, als ich diese zum ersten Mal hörte. Und so herrlich bescheuert, subversiv, anti, etc. dass sie schon wieder Kunst sind.
Dann gibt es ja auch noch die Pubertätsgedichte, aber davon zitiere ich nur ausschnitsweise.
Ihre ... war bemost
Prost!
Da kam sie in Extase
und ... auch noch den Leuchter ...
der war aus blauem Glase.
Ich verspreche hoch und heilig, zeitnah wieder mit dem Giften anzufangen.
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Zitat von Sirius
Sachliche Romanze
Erich Kästner
Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen: sie kannten sich gut)
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.
Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
versuchten Küsse, als ob nichts sei,
und sahen sich an und wussten nicht weiter.
Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.
Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.
Er sagte, es wäre schon Viertel nach vier
und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.
Nebenan übte ein Mensch Klavier.
Sie gingen ins kleinste Café am Ort
und rührten in ihren Tassen.
Am Abend saßen sie immer noch dort.
Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.
Romanze vor Kästner.
Er trägt straffe Schuld,
sie schultert Chiffon,
neben des Wegs
graut der Klee.
Träume scheuern
aus zweier Vergangenheit,
an Sohlen
klebt noch Schnee.
Es starren
faltenlose Bäume,
es senkt den Blick
der Kellner, der niemals klang.
Beider letzter,
gekratzter Rest schweigt,
bevor nur etwas
je begann.
(weegee)
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Das ist so treffend und seufz... ich sehe da immer eine weiße Schleiereule, die lautlos durch die dunkle Nacht gleitet...
Hier ein Gedicht, das sicher zu den Beliebtesten zählt:
Die Ameisen
In Hamburg lebten zwei Ameisen,
Die wollten nach Australien reisen.
Bei Altona auf der Chaussee
Da taten ihnen die Beine weh,
Und da verzichteten sie weise
Dann auf den letzten Teil der Reise.
So will man oft und kann doch nicht
Und leistet dann recht gern Verzicht.
( Joachim Ringelnatz)
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Danke, liebes Frollein. Das ist mir auch lieber als das folgende:
Eduard Mörike
Der Feuerreiter
Sehet ihr am Fensterlein
Dort die rote Muetze wieder?
Nicht geheuer muß es sein,
Denn er geht schon auf und nieder.
Und auf einmal welch Gewuehle
Bei der Bruecke, nach dem Feld!
Horch! das Feuergloecklein gellt:
Hinterm Berg,
Hinterm Berg
Brennt es in der Muehle!
Schaut! da sprengt er wuetend schier
Durch das Tor, der Feuerreiter,
Auf dem rippenduerren Tier,
Als auf einer Feuerleiter!
Querfeldein! Durch Qualm und Schwuele
Rennt er schon, und ist am Ort!
Drueben schallt es fort und fort:
Hinterm Berg,
Hinterm Berg
Brennt es in der Muehle!
Der so oft den roten Hahn
Meilenweit von fern gerochen,
Mit des heilgen Kreuzes Span
Freventlich die Glut besprochen -
Weh! dir grinst vom Dachgestuehle
Dort der Feind im Hoellenschein.
Gnade Gott der Seele dein!
Hinterm Berg,
Hinterm Berg
Ras't er in der Muehle!
Keine Stunde hielt es an,
Bis die Muehle borst in Truemmer;
Doch den kecken Reitersmann
Sah man von der Stunde nimmer.
Volk und Wagen im Gewuehle
Kehren heim von all dem Graus;
Auch das Gloecklein klinget aus.
Hinterm Berg,
Hinterm Berg
Brennts! -
Nach der Zeit ein Mueller fand
Ein Gerippe samt der Muetzen
Aufrecht an der Kellerwand
Auf der beinern Maehre sitzen:
Feuerreiter, wie so kuehle
Reitest du in deinem Grab!
Husch! da faellts in Asche ab.
Ruhe wohl,
Ruhe wohl
Drunten in der Muehle!
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Au weia! DAS ist nur wenig besser als Zahnschmerzen. Hinfort mit solch Geschreibsel: HUSCH!
(Vielleicht was für Feuerwehrfeste irgendwo auf dem Dorpe, zu vorgerückter Stunde, nach dem zwölften Bier. Da kann man dann auch schön mitgrölen: HUSCH! Und so berauscht geht es dann hinaus aus dem Festzelt zum Zündeln. Weil auch Feuerwehrleute wollen nur gebraucht und geliebt werden. Liest man ja immer wieder. HUSCH!)
Jörn
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Köstlich deine Kommentare, weegee! Hoffentlich hältst du bis Heiligabend durch. Dann hast du es aber auch verdient!
Sirius
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Das Grab im Busento
August von Platen
Nächtlich am Busento lispeln, bei Cosenza, dumpfe Lieder,
Aus den Wassern schallt es Antwort, und in Wirbeln klingt es wider!
Und den Fluß hinauf, hinunter, ziehn die Schatten tapfrer Goten,
Die den Alarich beweinen, ihres Volkes besten Toten.
Allzufrüh und fern der Heimat mußten hier sie ihn begraben,
Während noch die Jugendlocken seine Schulter blond umgaben.
Und am Ufer des Busento reihten sie sich um die Wette,
Um die Strömung abzuleiten, gruben sie ein frisches Bette.
In der wogenleeren Höhlung wühlten sie empor die Erde,
Senkten tief hinein den Leichnam, mit der Rüstung, auf dem Pferde.
Deckten dann mit Erde wieder ihn und seine stolze Habe,
Daß die hohen Stromgewächse wüchsen aus dem Heldengrabe.
Abgelenkt zum zweiten Male, ward der Fluß herbeigezogen:
Mächtig in ihr altes Bette schäumten die Busentowogen.
Und es sang ein Chor von Männern: »Schlaf in deinen Heldenehren!
Keines Römers schnöde Habsucht soll dir je dein Grab versehren!«
Sangen's, und die Lobgesänge tönten fort im Gotenheere;
Wälze sie, Busentowelle, wälze sie von Meer zu Meere!
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Schlimmer geht's immer. Jetzt kommen auch noch irgendwelche Heldenepen von irgendwelchen Goten-Fürsten, die auf dem Weg nach Nordafrika kurz mal Rom plündern und dann ganz banal an Malaria krepieren. Fluß umleiten, Grab schaufeln, wieder Fluß drüber. Und: "Die Arbeiten wurden von römischen Sklaven ausgeführt, die nach getaner Arbeit von Alarichs Soldaten umgebracht wurden, damit die genaue Lage der Grabstätte für immer geheim bliebe." Geht's noch? Einfach den Leichnam verbrennen und in den Busento streuen wäre auch eine für alle Beteiligten schicke Lösung gewesen. Und über diesen Schwachsinn noch ein Gedicht verfassen!
Was will uns der Dichter sagen? Er will wohl sagen: Es ist klasse, seine habgierigen, brandschatzenden Führer umständlich zu begraben und die besiegten, ausgeplünderten Feinde dafür schuften und bluten zu lassen. Und umzubringen. DAS will der Mainstream-Deutsche wohl gern lesen, wenn er am Kaminfeuer seinen "Die beliebtesten Deutschen Gedichte"-Band zur Hand nimmt und mit einer Flasche Rheinhessen Spätlese vor sich von vergangenen HELDENHAFTEN Zeiten träumt mit so richtig strahlenden FÜHRERN.
Mein Lieblingswort ist "Busen-to-wogen". Das ist viiieel Oberweite ohne irgendwelche Stützkonstruktionen.
Jörn
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